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Geheimsache Italien

Autor
Turone, Giuliano

Geheimsache Italien

Untertitel
Politik - Geld - Verbrechen. Aus dem Italienischen von Klaudia Ruschkowski. Einleitung von Peter Kammerer
Beschreibung

„Eine schwarze Geschichte“, nennt Corrado Stajani in seinem Vorwort Giuliano Turrones Werk. Mehr noch: „Eine leider wahre Geschichte“. Denn nichts von dem, was der Autor, ein Jurist, an schier unglaublichen Fällen zusammengetragen hat, ist erfunden. Der Autor weiß aus eigener Erfahrung, worüber er schreibt. Als Untersuchungsrichter in Mailand war er selbst mit vielen der oft haarsträubenden Geschehnisse befasst, die in seinem Buch ausführlich dargestellt sind. So stießen er und sein Kollege Gherardo Colombo 1981 im Rahmen eines Strafverfahrens eher zufällig auf die Existenz eines ausgeklügelten geheimen Machtsystems, das unter dem Deckmantel einer Freimaurerloge agierte: die Loge Propaganda 2, kurz P2. Wie sich zeigte, verband das von der P2 weit gespannte Netz Spitzenakteure aus Politik und Wirtschaft, Medien, Polizei, Carabinieri, Militär mit in- und ausländischen Geheimdiensten, neofaschistischen Terrorgruppen und, ja, mit der Mafia. Ziel dieses konspirativen Staates im Staate war die Abwehr der „kommunistischen Gefahr“.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
marix Verlag, 2023
Seiten
416
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-7374-1205-6
Preis
29,90 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Giuliano Turone, geb. 1940 bei Genua, em. Richter des Mailänder Kassationsgerichtshofs, em. Professor für Investigationstechniken an der Katholischen Universität Mailand. Von 1970 bis 1987 war er Untersuchungsrichter in Mailand und leitete u. a. die Ermittlungen gegen die Loge P2. In den 1990er-Jahren gehörte er zum ersten Team von Richtern der Nationalen Antimafia-Staatsanwaltschaft. Er war an der Ausarbeitung des Straßburger Übereinkommens von 1990 über Geldwäsche beteiligt und war Staatsanwalt beim Haager Tribunal für das ehemalige Jugoslawien. Seit 1983 veröffentlicht Turone zu Rechtsfragen und Ermittlungsstrategien, zur Mafia und ihren Komplizen.

Zum Buch:

„Eine schwarze Geschichte“, nennt Corrado Stajani in seinem Vorwort Giuliano Turrones Werk. Mehr noch: „Eine leider wahre Geschichte“. Denn nichts von dem, was der Autor, ein Jurist, an schier unglaublichen Fällen zusammengetragen hat, ist erfunden. Der Autor weiß aus eigener Erfahrung, worüber er schreibt. Als Untersuchungsrichter in Mailand war er selbst mit vielen der oft haarsträubenden Geschehnisse befasst, die in seinem Buch ausführlich dargestellt sind. So stießen er und sein Kollege Gherardo Colombo 1981 im Rahmen eines Strafverfahrens eher zufällig auf die Existenz eines ausgeklügelten geheimen Machtsystems, das unter dem Deckmantel einer Freimaurerloge agierte: die Loge Propaganda 2, kurz P2. Wie sich zeigte, verband das von der P2 weit gespannte Netz Spitzenakteure aus Politik und Wirtschaft, Medien, Polizei, Carabinieri, Militär mit in- und ausländischen Geheimdiensten, neofaschistischen Terrorgruppen und, ja, mit der Mafia. Ziel dieses konspirativen Staates im Staate war die Abwehr der „kommunistischen Gefahr“.

Die P2 plante keine Militärputsche, wie sie in Griechenland und Argentinien stattfanden. Vielmehr bereitete sie einen schleichenden Staatsstreich vor. Er zielte auf die verdeckte Kontrolle und Steuerung staatlicher und ziviler Organisationen sowie auf die Destabilisierung der Gesellschaft. Versuchte und angedrohte Putsche, Bombenanschläge, Attentate und Morde machten Italien zu einem Schlachtfeld des Kalten Krieges. Eine in Westeuropa beispiellose Welle verbrecherischer Gewalt überrollte das Land bis in die 1980er Jahre. Die materiellen Täter waren in einem gewollten – und ungewollten – Zusammenspiel Rechts- und Linksterroristen im Verein mit den staatlichen Geheimdiensten und den damit verbandelten Untergrundorganisationen wie Rosa dei Venti, Anello und Gladio.

Der Kommandeur des illegalen Heers der Piduisti, das diese Machenschaften ins Werk zu setzen hatte, war der Unternehmer Licio Gelli, ein Faschist, der im Zweiten Weltkrieg mit den Nationalsozialisten kollaboriert hatte. Die Marschroute indes bestimmten sehr wahrscheinlich andere. Indizien weisen in Richtung auf Giulio Andreotti, einem der Spitzenpolitiker der Democrazia Cristiana, der in insgesamt dreiunddreißig Regierungen Ämter innehatte, darunter viermal das des Ministerpräsidenten. An hieb- und stichfesten Beweisen mangelt es jedoch bis heute. Immerhin stellte ein Gerichtsurteil fest, dass Andreotti bis 1980 Beziehungen zur sizilianischen Cosa nostra unterhielt.

Giuliano Turrone hat eine immense Menge von Prozessunterlagen, Gutachten, Zeugenaussagen, Protokollen, Gerichtsurteile und die Ergebnisse parlamentarischer Untersuchungsorganisationen gesichtet, bewertet und rekonstruiert. Nicht alle der vielen dargestellten Fälle sind aufgeklärt und werden sich vielleicht nie klären lassen, etwa der Fall Aldo Moro, dem 1978 von den Brigate rosse entführten und ermordeten Vorsitzenden der Christdemokratischen Partei. Bei Turrone ist nachzulesen, wie die P2 die Rettung Aldo Moros verhinderte.

In den folgenden drei Jahren gelang es der P2, die politischen Weichen Italiens neu zu stellen. Nachdem die Christdemokratische Partei unter das Last ihrer Korruptionsskandale zusammengebrochen war, stieg 1994 das P2-Mitglied Silvio Berlusconi (Mitgliedsnummer 1816) zum gewählten Ministerpräsidenten auf. Mit ihm erlangte die Geheimloge Regierungsmacht. Die Folgen sind bekannt.

Geheimsache Italien erschien 2019 in Italien und wurde für die deutsche Ausgabe aktualisiert. Die Lektüre mag angesichts der detaillierten Darlegung des Materials und der Fülle der Namen bisweilen verwirrend sein. Doch sie lohnt sich unbedingt, denn das Buch ist ein wichtiger, ja unverzichtbarer Beitrag zum Verständnis der jüngeren Geschichte Italiens.

Michaela Wunderle, Frankurt a. M.