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Das Foto schaute mich an

Autor
Petrowskaja, Katja

Das Foto schaute mich an

Untertitel
Kolumnen
Beschreibung

Seit 2015 schreibt Katja Petrowskaja in regelmäßigen Abständen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Kolumnen zu Fotografien. Kurze Texte zu einzelnen Bildern, die herausgehoben sind aus der allumfassenden Bilderflut, die täglich auf uns einstürmt. Es sind Momente des Innehaltens und genauen Hinsehens: Schnappschüsse, persönliche Fotos, Kunstfotografien, Pressebilder, historische und aktuelle Fotos. Siebenundfünfzig Bilder und Texte sind jetzt im Suhrkamp Verlag in Buchform erschienen. Siebenundfünfzig literarische Miniaturen, die nun dem flüchtigen Medium Zeitung entronnen und zwischen den Buchdeckeln zu etwas Bleibendem geworden sind und die – gerade durch die Möglichkeit, sie erneut zu betrachten und zu lesen – an Substanz noch gewinnen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp Verlag, 2022
Seiten
256
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-518-22535-6
Preis
25,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Katja Petrowskaja, 1970 in Kiew geboren, lebt seit 1999 in Berlin. Sie studierte in Tartu, Stanford und Moskau Literaturwissenschaft und ist als Journalistin für deutsch und russischsprachige Medien tätig. Ihr literarisches Debüt Vielleicht Esther (2014) wurde in über 30 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Sie lebt in Tbilissi und Berlin.

Zum Buch:

Seit 2015 schreibt Katja Petrowskaja in regelmäßigen Abständen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Kolumnen zu Fotografien. Kurze Texte zu einzelnen Bildern, die herausgehoben sind aus der allumfassenden Bilderflut, die täglich auf uns einstürmt. Es sind Momente des Innehaltens und genauen Hinsehens: Schnappschüsse, persönliche Fotos, Kunstfotografien, Pressebilder, historische und aktuelle Fotos. Siebenundfünfzig Bilder und Texte sind jetzt im Suhrkamp Verlag in Buchform erschienen. Siebenundfünfzig literarische Miniaturen, die nun dem flüchtigen Medium Zeitung entronnen und zwischen den Buchdeckeln zu etwas Bleibendem geworden sind und die – gerade durch die Möglichkeit, sie erneut zu betrachten und zu lesen – an Substanz noch gewinnen.

Das Buch, könnte man meinen, ist eigentlich eine Fehlkonstruktion. Sind die Bilderkolumnen alle drei Wochen in der FAS kleine Atempausen in der alltäglichen Informationsflut und im Feuilletonrauschen, ist ein Buch der Inbegriff der Ruhe. Man setzt sich hin und liest. Hier merkt man aber schnell: das geht so nicht. Man sieht das Bild an, liest den Text, liest den nächsten – aber irgend etwas hat sich festgehakt im Auge, man blättert zurück, liest noch einmal … Und irgendwann liegt das Buch dann an den unterschiedlichsten Plätzen in der Wohnung und lädt dazu ein, sich kleine Auszeiten zu gönnen.

Das Foto schaute mich an ist eine kleine Schule des genauen Sehens: Manche der Bilder beschreibt Petrowskaja bis ins Detail und ordnet sie historisch ein. Wieder andere werden in persönlichen Bezug gebracht, rufen Erinnerungen hervor, Assoziationen oder Emotionen. So entdeckt Petrowskaja auf einem Kinderfoto, das sie mit ihrem Vater zeigt, dass sie als Kind wohl Linkshänderin war. Sie sinniert über gewaltsame Umerziehung, unterdrückte Talente, verpasste Chancen, bis ihr Vater entdeckt, dass das Foto spiegelverkehrt abgezogen wurde. Ein Bild, das Frauen an einem Fließband zeigt, wird durch ihre genaue Recherche zu einer kleinen Geschichte der Bedeutung selbstständiger Arbeit von Frauen in der BRD in den 1960er Jahren. Ort und Zeit eines weiteren Fotos entschlüsselt sie durch genauestes Betrachten des verschwommenen Hintergrunds.

Immer wieder ist Krieg das Thema, und die Besetzung der Krim und des Donbass durch Russland war das Motiv der Autorin, mit dieser Art von Arbeit zu beginnen. “Damals habe ich angefangen, über Fotos zu schreiben aus Ohnmacht vor der Gewalt” schreibt sie in einer kurzen Nachbemerkung. Die Verletzlichkeit des Menschen nicht nur durch Kriege, Ausgrenzung und Entwurzelung, sondern auch durch den Blick der anderen, für den die Fotografen stellvertretend stehen, durchzieht das Buch und ist auch in den hellen Momenten von Freundschaft, Freude, Zartheit und Schönheit zu spüren. Diese Vielschichtigkeit macht Das Foto schaute mich an zu einer facettenreichen, Staunen machenden und berührenden Lektüre.

Ruth Roebke, Frankfurt