Zum Buch:
Torben Ehlers Anspruch liegt darin, zu zeigen, was neuere Ansätze zur Erforschung sozialer Bewegungen an Aufklärung leisten können. Mit diesem Ziel führt er zunächst in Kapitel 2 in die wirtschaftlichen und geographischen Charakteristiken Chiapas, sowie in Kapitel 3 ausführlich in die Vorgeschichte und den Verlauf des Aufstandes seit den 1970er Jahren bis zur anderen Kampagne seit 2005 ein. Das Herzstück der Arbeit bildet schließlich Kapitel 4, in dem er vier theoretische Konzepte der Bewegungsforschung vorstellt und sie am Beispiel der zapatistischen Bewegung anzuwenden versucht.
Torben Ehlers führt vor, wie sinnvoll es ist, mit verschiedenen Theorien zu arbeiten. Jede Theorie hinterlässt ihrerseits erneut blinde Flecken, doch im Idealfall ergänzen sie sich einander und nähern uns einer komplexen Realität etwas an. Das Zusammentragen so zahlreicher Interpretationen des zapatistischen Aufstandes und die Einführung in vier Bewegungstheorien ist sicherlich die große Stärke des Buches. So gelingt es ihm auch, das eurozentristische Verhaftetsein von in Europa oder den USA entstandenen Theorien (Neue soziale Bewegungsparadigma und Ressourcenmobilisierungs-Ansatz) aufzuzeigen und zu problematisieren und auf weniger kulturell verankerte Konzepte wie FramingKonzepte und Cultural Studies zu verweisen. Als der versprechendste Ansatz zeigt sich hierbei letzterer mit seinem Fokus auf der strategischen Konstruktion von Identität. Das Durchkonjugieren der Theorien am Fallbeispiel Chiapas ist zwar erkenntnisreich, aber leider etwas schulmeisterlich und schwerfällig. Dazu tragen auch die zahlreichen Zitate auf Englisch bei.
Für Kenner des Konfliktes in Chiapas bietet das Buch wenig neue Fakten (hier eher zu empfehlen: Neil Harvey: The struggle for Land and Democrarcy; Luz Kerkeling: La lucha sigue Der Kampf geht weiter; Gloria Muñoz: 20 + 10. Das Feuer und das Wort oder Courtney Jung: The Moral Force of Indigenous Politics: Critical Liberalism and the Zapatistas), allerdings Interpretationsmöglichkeiten und theoretische Werkzeuge zur eigenen Anwendung. Es ermöglicht dem interessierten Fachpublikum eine Reflexion von Bewegungstheorien an einem historischen Beispiel. Einige Fehler und Widersprüche, sowie ungenaue Zitate und eine fragwürdige Bewertung des Massakers von Acteal von 1997 trüben leider das Gesamtbild. Eine detaillierte Darstellung und andere Einordnung des Massakers hat der Chiapas-Spezialist Hermann Bellinghausen jetzt in seinem neuen Buch vorgenommen: Acteal – Ein Staatsverbrechen.
Heiko Kiser (Bücher zu Lateinamerika)