Zum Buch:
Die 13 Beiträge dieses Sammelband analysieren lateinamerikanische Klassenstrukturen, soziale Milieus und sozialräumliche Strukturen. Dieter Boris gibt einen lesenswerten Überblick zum aktuellen Stand der Sozialstrukturanalyse in Lateinamerika. Maristela Svampa beschreibt die Metamorphosen der herrschenden Klasse in Argentinien und ihr überraschendes Bündnis mit den Peronisten unter Menem (1989-1999). Patricio Silva stellt dar, warum sich im Chile der 1990er Jahre durch die Vermischung technokratischer Ideologien mit demokratischen Ideen eine zunehmend “technokratisierte Demokratie” herausgebildet hat. Gabriel Kessler und María Mercedes Di Virigilio analysieren die Verarmung der argentinischen Mittelschichten vor allem mit dem Kategoriensystem des Soziologen Pierre Bordieu. Franzisco Zapata gibt einen sehr kursorischen Überblick über die Transformation der städtischen Arbeiterklasse. María Cristina Bayón stellt dar, wie sich die große Ungleichheit bei der Verteilung von Bildungs- und Berufschancen in Mexiko und Argentinien vertieft hat. Amy Bellone Hite und Jocelyn Viterna legen dar, wie durch die Feminisierung der Arbeit im Rahmen neoliberaler Anpassungspolitik “männliche Privilegien” abgeschmolzen wurden, was insbesondere auf der Verschlechterung der Beschäftigungsbedingungen für Männer beruhe. Sehr knapp gehalten sind die Beitrage von Fabiola Escárzaga über die Protestformen der indigenen Bevölkerung in den Andenländern und Mexiko sowie der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) über die gesellschaftliche Situation der lateinamerikanischen Jugendlichen. Sehr instruktiv sind die Ausführungen von Katharine Andrade Eekhoff zur “Migrationsökonomie” in Zentralamerika und ihren ökonomischen, soziokulturellen und politischen Auswirkungen sowie die Darstellung von Cristóbal Kay zu den Entwicklungstendenzen der lateinameriknaischen Landwirtschaft. Kay zufolge führen etwa der Anstieg der saisonalen Lohnarbeit und die “Urbanisierung der Landarbeiter” zu einem “dauerhaften Semi-Proletariat”, auf dessen Grundlage neue Campesino-Bewegungen entstanden sind. Christoph Parnreiter zufolge führte die neoliberale Wirtschaftspolitik in vielen Ländern Lateinamerikas zu einer “Verstädterung der Armut” (1980: 77 Mio., 2005: 143 Mio.) sowie zur verstärkten sozialen Polarisierung und sozialräumlichen Segregation in den Städten. Insgesamt bietet dieser Band eine große Bandbreite anregender Fallstudien.
Christoph Dietz (Bücher zu Lateinamerika)