Zum Buch:
Die 15 Jahre unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren keineswegs eine Zeit des behäbigen Abwartens oder der selbstgefälligen Saturiertheit, wie es im Begriff „Fin de Siècle“ häufig mitschwingt, vielmehr waren diese Jahre durch gewaltige Umbrüche in Technik, gesellschaftlichen Verhältnissen, sozialen und moralischen Einstellungen gekennzeichnet, die sich dann nach 1918 voll durchsetzten und in ihrer Radikalität den Umbrüchen, die wir heute 100 Jahre später miterleben, in nichts nachstehen.
In 15 Kapiteln führt uns Philip Blom 15 Einzelthemen dieser unerwartet bewegten Zeitspanne vor, z.B. die Weltausstellung in Paris im Jahre 1900, der Niedergang des immer noch dominierenden Adels und die beschämende Rolle Wilhelms II., die russische Revolution von 1905, die Umwälzungen in den Naturwissenschaften am Beispiel Marie und Pierre Curies, die kolonialen Gräuel bei der Kautschukgewinnung im belgischen Kongo, die englischen Suffragetten, der Wandel in den Geschlechterbildern und zahlreiche weitere symptomatische und spannende Themenfelder. Der Autor versteht es dabei, brillantes Erzählen und historisch-politische Analyse zu einem Lesevergnügen mit hohem Erkenntniswert zu verbinden. Und es gelingen ihm dabei immer wieder so köstliche Formulierungen wie hier zum Stillstand der österreichisch-ungarischen K.u.K.-Politik:
„Die Politik des Reiches nahm oft denselben Verlauf wie ein Walzer; zuerst nach rechts, dann nach links, sich schwungvoll drehend, bis man schließlich da anlangte, wo man begonnen hatte, immer in Bewegung, ohne jemals von der Stelle zu kommen.“ (S.71)
Der englisch-deutsche Historiker Philip Blom hat dieses Buch in englischer Sprache verfasst (Originaltitel: The Vertigo Years) und es anschließend für die deutschen Leser selbst übersetzt. Blom lebt heute in Wien. Mit diesem Buch wollte er der landläufigen Meinung widersprechen, der Erste Weltkrieg sei der wesentliche Auslöser für das Entstehen der Moderne gewesen. „Der taumelnde Kontinent“ weist nach, dass die Fundamente für die moderne Welt vielmehr in den Jahren vor dem Kriege gelegt wurden.
Wolfgang Kiekenap, Ypsilon Buchladen & Café, Frankfurt am Main