Zum Buch:
In Frankreich wurde Pierre Bourdieus Buch über das Elend der Welt 1993 ein Bestseller. Es versammelte auf fast 1000 Seiten die Biografien von einfachen Menschen, denen das Schicksal übel mitspielte. Zum Bestseller wurde das Buch, weil es mit einfühlsamer, soziologisch geschulter Beobachtung die Menschen hinter Zahlenreihen sichtbar machte. Armuts- und Arbeitslosigkeitsstatistiken sind das eine, die Menschen, die dahinter stehen, das andere.
Die Journalistin Florence Aubenas von der französischen Zeitung Libération unternahm den Selbstversuch, als Arbeitslose eine Stelle zu finden. Im Unterschied zu Günther Wallraf, der sich vollkommen tarnte, trat Florence Aubenas in einer Provinzstadt unter eigenem Namen auf, färbte lediglich ihre Haare und legte sich eine fiktive Biografie zu. Sie trat auf als Frau, die nie gearbeitet, sondern bisher von ihrem Mann gelebt habe und nun nach der Trennung mittellos dastehe. Die Erfahrungen, die sie bei der Arbeitssuche und bei ihrer Arbeit als Putzfrau machte, hat Florence Aubenas in einem Buch zusammengestellt, das sich in Frankreich sehr gut verkaufte und großes Aufsehen erregte. Als allein stehende Frau ohne Berufsabschluss und ohne Arbeitserfahrung landete sie ganz unten – bei den Schwervermittelbaren, die von den Jobcentern an Zeitarbeitsfirmen, vor allem Reinigungsunternehmen, weiter gereicht werden. Für den Chef einer solchen Firma ist jemand ohne Führerschein und Auto nur ein Problem mehr, und den stelle ich nicht ein. Woher soll eine Arbeitslose ein Auto bekommen, um abgelegene Büroräume, Campingplätze oder Fährschiffe morgens zwischen fünf Uhr und acht Uhr oder abends bis 22.30 zu reinigen? Darum kümmern sich weder die Jobcenter noch die Zeitarbeitsfirmen. Florence Aubenas erlebte die Arbeitsvermittlung als ein kafkaeskes Chaos. Die Arbeitssuchenden müssen sich regelmäßig in den Jobcenters melden und sich auf die wenigen offenen Stellen bewerben. Private Beratungs- und Qualifizierungsstellen fungieren als Subunternehmer der Jobcenter, denn die Arbeitssuchenden sollen sich durch allerlei Kurse weiterqualifizieren – die lange Liste reicht vom Raumhygienekurs über das Modul Altenhilfe bis zur telefonischen Arbeitssuche und dem Kurs Wie man seine Kenntnisse zur Geltung bringt. Auch das Personal in den Jobcentern steht unter dem Druck, die Arbeitslosenzahlen zu senken, egal wie. Das führt zu grotesken organisatorischen Exzessen. Um die Angestellten der Jobcenter besser überwachen zu können, werden Termine nur noch telefonisch oder per Computer vergeben. Was nützt das jenen Kunden, die sich längst kein Telefon und schon gar keinen Computer mehr leisten können? Statt der vorgesehenen 60 betreut jeder Angestellte im Jobcenter 180 Kunden und leidet am Ende unter der Ohnmacht und der Aussichtslosigkeit seines Tuns so, dass Berater aus Paris kommen müssen, um für das Personal psychologische Hilfe zu organisieren. Bei allen Jobs als Putzfrau, die Florence Aubenas oft nur für wenige Tag als Aushilfe angeboten bekam, waren die Zeitvorgaben für die Erledigung der Arbeit so knapp bemessen, das man sich entweder halb kaputt schuften oder schludern musste, was wiederum zu Sanktionen und Kundenreklamationen führte. Ein Teufelskreis, der viele Frauen depressiv macht. Das Fazit von Florence Aubenas nach dem sechsmonatigen Selbstversuch ist niederschmetternd: Heutzutage findet man keine richtige Arbeit mehr. ( ) Man arbeitet ständig, ohne wirklich Arbeit zu haben, man verdient Geld, ein Auskommen aber hat man nicht. Das gut geschriebene Buch von Florence Aubenas ist ein Dokument der alltäglichen Beleidigung und Erniedrigung von Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen in schwierige soziale Lagen geraten sind. Rudolf Walther, Frankfurt am Main