Zur Autorin/Zum Autor:
Christoph Keese, geboren 1964, Studium der Wirtschaftswissenschaften und Absolvierung der Henri-Nannen-Journalistenschule. Tätig u. a. als Ressortleiter Wirtschaft für eine Berliner Zeitung. Der Autor lebt in Hamburg.
Was Christoph Keese auf Basis eines halbjährigen Aufenthalts im Silicon Valley beschreibt, bestimmt schon jetzt unseren Alltag in einem solch gravierenden Ausmaß, dass es geradezu leichtfertig wäre, sich kein Bild davon zu machen. Er geht dabei in drei Schritten vor. Das erste Kapitel bietet eine Soziologie des Tals. Wer lebt dort? Unter welchen Bedingungen arbeitet man? Im zweiten Kapitel werden die Strategien und Ziele der Internet-Unternehmer vorgestellt, während das dritte Kapitel sich nicht nur mit den daraus folgenden Konsequenzen für die Gegenwart begnügt, sondern auch mögliche Entwicklungen der Zukunft skizziert.
(ausführliche Besprechung unten)
Die Welt, von der Christoph Keese erzählt, wird von „Disruptoren“, „Business-Angels“ und „Clickworkers“ bewohnt. „Disruptoren“ sind junge, technologisch versierte Unternehmensgründer. Der Name rührt von der umwälzenden Wirkung her, die ihre digitalen Produkte entfalten. Sie “unterbrechen“ etablierte Marktstrukturen und verdrängen die bis dato bestimmenden Akteure. Dafür braucht man aber Kapital. Und zwar enorm viel. „Business-Angels“ gewähren Anschubfinanzierung, bis das „Venture Capital“ – zu Deutsch: Wagniskapital – ins Spiel einsteigt, um Millionenbeträge in die frisch aus der Taufe gehobenen Unternehmen, die sogenannten „Start-ups“, zu pumpen. Das Wagniskapital macht seinem Namen dabei alle Ehre. Von zehn Investitionen floppen neun, aber die zehnte schlägt so heftig ein, dass Milliarden herausspringen. Die Folge ist die Auflösung ganzer Berufsbranchen. Auf der anderen Seite stehen die „Clickworkers“. Sie kennen keine festen Arbeitgeber mehr, sondern nur noch wechselnde Aufträge, für die sie ihre Arbeitskraft auf Internetplattformen feilbieten.
Diese Welt ist die unsrige. Was Christoph Keese auf Basis eines halbjährigen Aufenthalts im Silicon Valley beschreibt, bestimmt schon jetzt unseren Alltag in einem solch gravierenden Ausmaß, dass es geradezu leichtfertig wäre, sich kein Bild davon zu machen. Man darf sich von der gewöhnungsbedürftigen Lexik der digitalen Ökonomie nicht abschrecken lassen. Keese bemüht sich um eine verständliche Erklärung von Strukturen und Begriffen. Er geht dabei in drei Schritten vor. Das erste Kapitel bietet eine Soziologie des Tals. Wer lebt dort? Unter welchen Bedingungen arbeitet man? Im zweiten Kapitel werden die Strategien und Ziele der Internet-Unternehmer vorgestellt, während das dritte Kapitel sich nicht nur mit den daraus folgenden Konsequenzen für die Gegenwart begnügt, sondern auch mögliche Entwicklungen der Zukunft skizziert. Gerade Letztere lesen sich streckenweise wie totalitäre Horrorszenarien aus einem Science-Fiction-Roman. Vor einen Anhang mit weiterführender Literatur und Quellenverzeichnis setzt Keese schließlich noch eine Art Epilog, in dem er Empfehlungen gibt, wie auf die unaufhaltsame Digitalisierung nach seinem Dafürhalten zu reagieren sei.
Spätestens dort lassen sich die problematischen Aspekte dieses Buches nicht mehr ignorieren. Zweifellos ist es Keeses Verdienst, vor allem einem Laienpublikum einen so verständlichen wie umfassenden Einblick in die Strukturen zu vermitteln, für die das Silicon Valley als Chiffre fungiert. Er will die Kehrseiten auch nicht verschweigen und lässt immer wieder kritische Stimmen zu Wort kommen. Aber er bleibt eben am Ende ein Mann aus dem Hause Springer, dem es nicht gelingt, über seinen ideologischen Schatten zu springen. Das zeigt sich unter anderem in der Doppelrolle, in die Keese schlüpft. Zum einen präsentiert er sich als “embedded journalist“, zum anderen als vorausschauender Vater. Nicht nur den eigenen Kindern gilt seine Sorge, sondern ihn treibt laut eigenem Bekunden allgemein die Frage um, „wie wir unsere Kinder vorbereiten können für die digitale Welt“. Hinter diesem „wir“ verbirgt sich jedoch eine recht überschaubare Gruppe – nämlich die Eltern, die sich leisten können zu sagen: „Mein Kind studiert im Ausland!“ Abgesehen davon zählt Keese das Einmaleins des Neoliberalismus auf: Selbstoptimierung und Eigenverantwortung. Wäre es nicht mal langsam an der Zeit für eine „disruptive Innovation“ des gesellschaftspolitischen Denkens?
Dieses Buch sollte man wie ein „Minimal Viable Product“ behandeln. Damit stürmen die Unternehmen aus dem Tal den Markt. Ein solches Produkt umfasst im Idealfall eine einzige Kernfunktion, die eine Neuerung bringt. Entscheidend ist allein, ob der Konsument sie annimmt. Zusatzfunktionen und optischen Schnickschnack kann man immer noch ergänzen. Genauso sollte man Keeses Buch auf eine Kernfunktion hin lesen, die darin besteht, in die Materie der digitalen Ökonomie einzuführen. Wer wissen will, wie ihr zu begegnen ist, dem sei ein Upgrade mit den Texten von Constanze Kurz und Klaus Rieger empfohlen.
Malte Kleinjung, Frankfurt am Main