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Sein Leben verlief so turbulent wie die plots, die er für die Oper erfand. So oft wechselte er Rollen und Berufe, dass kaum zu fassen ist, was alles in dieses eine Leben passte: Lorenzo da Ponte war Dichter, Buchautor, Priester, Lehrer, Buchhändler, hommes des lettres, Spieler und Abenteurer; zeitweilig schlug er sich sogar als Gemischtwarenhändler durch. Von den vielen Opern-Libretti, die er verfasste, sind heute fast alle vergessen – bis auf drei: die Hochzeit des Figaro, Così fan tutte und Don Giovanni. „Für mich darf ich hoffen,“ notierte da Ponte in seinen Memoiren gegen Ende seines langen Lebens, „dass ein kleiner Strahl (von Mozarts Ruhm) auf mich fallen mag, weil ich durch meine glückliche Dichtung das Vehikel für diese immerwährenden Schätze bereitgestellt habe“.
Rodney Bolts umfangreiche Biografie entwirft nicht nur ein stimmiges Bild von der fruchtbaren Zusammenarbeit dieser beiden Männer. Sie ergänzt und korrigiert auch die oft beschönigende Autobiografie, die da Ponte im Alter verfasste, und zeichnet ein farbiges Panorama des damaligen Theater- und Kulturbetriebs in Wien, London und New York. Da Rodney Bolt, südafrikanischer Reiseschriftsteller und Theaterregisseur, da Pontes unruhiges Lebens aus dem Kontext der damaligen Zeit deutet, ist die Biografie von Mozarts Librettist auch ein durchaus lehrreiches Geschichtsbuch. Es liest sich so fesselnd wie ein Roman.
Damals, in den Jahren vor der französischen Revolution, begannen sich die Zwänge der sozialen Rangordnung zu lockern. Die sich anbahnenden Umbrüche ermöglichten es einem talentierten Mann wie Lorenzo da Ponte, Wege einzuschlagen, die weit über die ihm qua Geburt bestimmte Stellung hinausführten. Ähnliches gilt für Mozart. Wie dieser strebte da Ponte nach Erfolg, Anerkennung und Geld. Beide schrieben nicht für die Nachwelt, sondern um zu überleben, und beide suchten ständig nach Schirmherren, kämpften aber immer wieder auch um eine selbständige künstlerische Existenz. Als er Mozart begegnete, glänzte da Ponte – elegantissimo, hochgebildet und mit Charme und Witz begabt – auf dem hochdotierten und angesehenen Posten eines Theaterdichters an der Wiener Hofburg. Er, Sohn eines Lederarbeiters aus dem jüdischen Ghetto einer kleinen Stadt bei Venedig, verkehrte in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen, zeitweilig ging er damals sogar beim Opernliebhaber Kaiser Joseph II. ein und aus. Umso tiefer war der Absturz, der folgte. Intrigen seiner Neider und eigene Fehler beendeten diesen Höhenflug. Da Ponte verlor seine Stelle und musste das Land mittellos verlassen. Doch er gab nicht auf. Aufstieg, Scheitern und Neuanfang – diese Reihenfolge bestimmte das Muster von Lorenzo da Pontes Leben (es gleicht dem seines Zeitgenossen Casanova, den er kannte).
Lorenzo da Ponte hieß ursprünglich Emanuele Conegliano. Er war zwölf Jahre alt, als sein Vater – wohl um den vielen antisemitischen Restriktionen zu entkommen – zum Christentum konvertierte. Wie es üblich war, erhielt Emanuele den Namen des Bischofs, der ihn taufte und sich in der Folge als Förderer des Jungen erwies. Er schickte ihn in ein kirchliches Seminar, und einige Jahre später erhielt Lorenzo die Priesterweihen. Eine Karriere als akademischer kirchlicher Lehrer schien greifbar – hätte sich der junge Abbate im Treiben des venezianischen Karnevals nicht in eine verheiratete Frau verliebt. Er verfiel zuerst ihr, später anderen und der Spielsucht dazu; seinen Lebensunterhalt bestritt er eine Zeitlang als Privatlehrer. Durch Denunziation erhielten die Behörden der Republik Venedig Wind vom unmoralischen Lebenswandel des Abbate, und da Ponte entzog sich dem strafenden Zugriff der Obrigkeit durch die Flucht nach Österreich. Nach seinem Wiener Scheitern beschloß er, den Neuanfang in London zu versuchen, nun mit einer Gattin an seiner Seite. Er, obschon als Priester zum Zölibat verpflichtet, hatte Nancy Grahl noch auf österreichischen Gebiet nach jüdischem Ritus geehelicht.
In Wien war Italienisch die Sprache der Gebildeten, die Oper – zumal die italienische – bevorzugte Unterhaltung der Oberschicht. In London war da Ponte sprachlich und kulturell isoliert und zum ersten Mal wirklich fremd. Mit umso größerer Einfallskraft und Energie bemühte er sich, den Londonern die italienische Oper und Literatur nahezubringen. Trotz einiger Erfolge endete auch die Londoner Zeit in Enttäuschungen und Pleiten. Sie blieben ihm auch nicht im Land der unbegrenzten Möglichkeiten erspart, wo da Ponte, obschon mittlerweile im letzten Drittel seines Lebens, unverdrossen neu begann. Doch die italienische Oper ins demokratische, industrialisierte Amerika zu verpflanzen, konnte nicht gelingen. Zu fremd war den puritanisch-pragmatischen New Yorker Geschäftsleuten diese aristokratische Kunstform, ihre Dramen zu unverständlich, zu unnatürlich. So versuchte sich da Ponte als Buchhändler und als Leiter eines Pensionats für die Sprößlinge der Oberschicht. Zeitweilig gelangte er, illusionslos geworden, zu einigem Wohlstand als Gemischtwarenhändler, und immerhin avancierte er zum ersten (freilich unbezahlten) Italienisch-Professor an der Columbia University. Doch dann erlahmte allmählich auch dieser nimmermüde Geist. Lorenzo da Ponte starb mit 84 Jahren, im Kreis seiner Familie. Wie Mozart und Casanova fand auch er seine letzte Ruhe in einem namenlosen Grab.
Michaela Wunderle, Frankfurt a.M.