Zum Buch:
Im Alter von 56 Jahren bringt sich Odd Kverneland um. Er leitet Abgase in sein Auto. Sein Sohn Steffen ist achtzehn, als sein Vater sich das Leben nimmt. Ein Freitod ist Kvernelands grafisch-literarische Aufarbeitung dieses verstörenden Ereignisses, eine autobiografische Reise in das Leben seines Vaters und seiner Familie.
Steffen Kverneland ist der derzeit erfolgreichste Comicautor aus Norwegen, dem Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. In Deutschland wurde er bekannt mit den beiden außergewöhnlichen Künstlerbiografien zu Olaf Gulbransson (Olaf G. mit Lars Fiske) und vor allem zu Edvard Munch (Munch).
Im Mittelpunkt seiner Comicbände steht dabei die Recherche, die Kverneland immer wieder sichtbar macht – das ist bei seinem jüngsten Band nicht anders. Immer wieder tauchen Fotos auf, immer wieder setzt sich der Autor selbst ins Bild, als Kind, als werdender Zeichner, aber auch als Vater, der mit seinem kleinen Sohn über den Entwürfen des Buches sitzt. Hier wird nicht mit biografischen Bezügen spekuliert, hier geht es um das eigene Leben des Künstlers. Dass dieses Verfahren nicht pathetisch gerät, liegt an Kvernelands mitunter auch derbem Witz, der sich vor allem stilistisch ausdrückt. Er beherrscht die düstere Gouache, das stille Aquarell ebenso wie die grelle Karikatur. Die großzügige Seitengestaltung sorgt dafür, dass man der Geschichte jederzeit gut folgen kann.
Bei seiner Recherche entdeckt der Sohn den Verlorenen als einen verantwortungsvollen Ehemann und Familienvater, als humorvollen, hochmusikalischen und beruflich erfolgreichen Menschen. Warum hat er sich umgebracht? Nach und nach wird deutlich, mit welch ungeheurer Anstrengung der Vater gegen den Dämon der Depression kämpfen musste und gekämpft hat. Relativ spät wird die Krankheit benannt, dann auch behandelt, letztlich behält sie die Oberhand.
Kverneland merkt, wie die Erinnerung auch ihn selbst immer wieder täuscht. Gespräche mit seiner Frau und seinem Freund sind hier wichtige Mittel der Auseinandersetzung, der Korrektur. Das Gefühl der Trauer erlebt er als zwiespältig, mitunter als Heuchelei und zugleich als notwendigen Schmerz. Er bemerkt fast erleichtert, dass sich nicht jede Frage beantworten lässt: „Dem Willen, sich das Leben zu nehmen, liegt etwas unbegreiflich Düsteres zugrunde, das ich wohl nie werde nachvollziehen können. Ich habe es nicht in mir. Er muss fürchterlich gelitten haben.“
Die Anerkennung des Lebens, des Kampfs des Vaters macht dessen Verlust für den Sohn letztlich erträglich. Dass es dabei auch um die eigene Rolle als Vater geht, daraus macht Steffen Kverneland in Ein Freitod keinen Hehl. Das Buch ist eine eindrückliche und letztlich auch befreiende Auseinandersetzung mit einem Schock und einem großen Verlust.
Jakob Hoffmann, Frankfurt