Zum Buch:
Buchcover können täuschen: Oksana, es reicht! ist viel besser, als es das Cover erwarten lässt. Witzig und klug – und dazu noch ein Pageturner – ist dieser schräge Roman von Maria Kuznetsova.
In jedem Kapitel begegnen wir der Ich-Erzählerin Oksana in einer anderen Lebenssituation. Wir lernen sie als Siebenjährige kennen, als sie mit ihren Eltern und der Großmutter von Kiev in die USA auswandert. Schon bei der Ausreise merkt sie, dass sie von nun an auf sich selbst angewiesen ist. Ihre Familie nämlich kann ihr keinen Weg zeigen, der ihr helfen würde, sich in den USA zurechtzufinden. Sie zieht ihre Schlüsse aus dieser frühen Einsicht und lebt fortan kompromisslos, wild und neugierig drauflos. Es folgen Ausschnitte aus ihrer Schulzeit, die von ihren Versuchen erzählen, in der amerikanischen Schule Fuß zu fassen und trotzdem ihren Willen durchzusetzen. Wir begleiten sie durch ihre Teenagerjahre, durch das Studium und bei der Suche nach einem Beruf, der spannend ist, Geld bringt und ihr doch genug Zeit lässt, ihren Roman zu schreiben.
Die junge Frau Oksana steckt, wenn wir ihr nach einem Zeitsprung im nächsten Kapitel wiederbegegnen, in einer sehr komplizierten Liebesbeziehung, ist unglücklich verliebt oder spielt mit den Männern, die sie anhimmeln. Dabei ist sie auf sympathische Art tollpatschig, stur und – das ist das Wichtigste – voller Energie und Lebensfreude. Sie ist witzig, ironisch und macht sich über alles lustig – am meisten über sich selbst und das Ungeschick, das ihr passiert. Ihre Bereitschaft, alles Schwierige laut wegzulachen, überfordert ihre Mitmenschen heillos, hindert es doch den einen oder die andere daran, sich ihr zu nähern. Diese Eigenschaft ist aber auch ein Schutz für Oksana, die sich von nichts – auch nicht von ihren Selbstzweifeln –unterkriegen lässt und ihren Weg, wenn sie ihn denn dann gefunden hat, energisch verfolgt.
Ihre Familie, die sie zwar liebevoll unterstützt, schüttelt das eine oder andere Mal den Kopf über ihre Sturheit, und das strenge: „Oksana, es reicht!“ wiederholt sich immer wieder. Nur ihre Großmutter scheint so etwas wie ein Spiegel ihres Charakters. Forsch und beinahe verbissen lebensfroh hat sie bis ins hohe Alter immer einen Schwarm Liebhaber um sich herumscharwenzeln und genießt ihre Rendezvous, bevor sie ins „große Nichts“ verschwinden will. Ihr schwarzer Humor ist – unbewusst – ein großes Vorbild für Oksana. Das Mädchen gerät immer wieder mit ihrer schrillen Großmutter aneinander, es fliegen die Fetzen, aber später wird sie merken, dass sie eine ganze Menge von dieser Frau geerbt haben muss.
Oksanas Charakter ist der treibende Motor in diesem herrlich komischen und traurigen Roman. Sie ist eine Rampensau, die es schafft, die Leserin in ihren Bann zu ziehen. In den Reaktionen auf das Buch wurde unter anderem kritisiert, die Geschichte sei zwar in der ersten Person erzählt, ergründe aber dafür seltsam wenig die inneren Motivationen für ihre Handlung; es fehle insgesamt an Introspektion. Genau dieses Fehlen macht diesen Roman aber so wunderbar erfrischend. Kein Grübeln über Gefühlslagen, sondern eine Neugier auf die Welt, eine Lust am Feiern, am Exzess, an der Literatur zeichnet die Ich-Erzählerin aus. Welche Melancholie dahinter steckt, ausgelöst durch ein ständiges Gefühl der Fremdheit, vermag Kuznetsova wunderbar zu beschreiben. Und diese Fremdheit ist es auch, die Oksana mit Distanz auf die Welt und die amerikanische Gesellschaft blicken lässt, eine Fremdheit, an der sie leidet, die ihr gleichzeitig aber auch eine ungeheure innere Freiheit gibt. Ihr als Leserin dabei über die Schulter zu gucken, ist eine Freude.
Alena Heinritz, Innsbruck