Zum Buch:
Anfang Oktober fand in den Räumen unserer Buchhandlung eine Abendveranstaltung der Literarischen Gesellschaft Köln statt, zu der Peter Kurzeck als Gast geladen war, um unter anderem über seine beiden letzten Publikationen, die Hörbücher Ein Sommer, der bleibt sowie Da fährt mein Zug zu erzählen. Doch es kam ganz anders.
Kurzeck erzählte, das schon, er erzählte den ganzen Abend lang, fast zwei Stunden mit nur einer kurzen Unterbrechung, aber während dieser zwei Stunden ließ er sich weniger über die Arbeit an den Hörbüchern aus als vielmehr ja, über was eigentlich? Nun, er redete. Redete einfach drauflos. Ohne Punkt und Komma, er ließ den Moderator erst gar nicht zu Wort kommen, er redete und redete, kam von einem auf das nächste Thema zu sprechen, nahtlos, und auch wenn das eine mit dem anderen nicht unbedingt viel gemein hatte, so ergab das alles zusammen dennoch ein einheitliches Ganzes, das den dreißig anderen Zuhörern und mir einen einzigartigen, sicher unvergesslichen Abend bescherte.
Vielleicht die beste Lesung, die ich seit Jahren besucht habe.
»Damals war es so, dass es einen Nachtzug gab, von Straßburg nach Avignon, der kurz nach elf abfuhr, also in der Stunde vor Mitternacht, ich glaube um Dreiundzwanziguhrelf oder -achtzehn, in Frankreich ist es so, dass die Züge oft an jedem Werktag zu einer etwas anderen Zeit fahren
«
So beginnt Da fährt mein Zug, aber wie gesagt, man muss das hören. Kurzeck hat eine Stimme, die ebenso unvergleichlich ist wie sein Redefluss, es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als still da zu sitzen und einfach nur zuzuhören. Und was sich zunächst so haltlos und ohne Zusammenhang ausnimmt, findet sich, und das ist Kurzecks große Kunst, immer zusammen, er verliert auch niemals den Faden, er sieht vielmehr die Geschichte als Teil einer
ja, was eigentlich? Vielleicht einer ganz anderen Geschichte, die auch noch erzählt werden muss. Da kommt nie Langeweile auf. Nicht für einen Moment. Er redet über Ente mit Linsen, seinen Lieblingsmantel, Villongedichte, blaue Lampen in den Seitenstraßen eines Weihnachtsmarktes, die vorgeben, Schneelichter zu sein, indische Nachtportiers, den Walkman seiner Tochter, Hölderlin, bei dem die Welt zu zittern anfängt, wie man am besten nicht auf einen fahrenden Zug aufspringt und so weiter und so weiter.
Es gibt da eine Stelle in Da fährt mein Zug, die mir am besten gefallen hat. Irgendwann, als Kurzeck dann doch mal eine Pause macht und ich schon dachte, schade, die CD ist Ende, sagt er, nachdem er ein paar Augenblicke nachgedacht hat: »Jetzt hab ichs falsch erzählt«, und fängt nach mal neu an. Ich fand das ungemein sympathisch.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln