Zum Buch:
Tristan da Cunha gilt als die abgelegendste bewohnte Insel der Welt – aber nicht nur das macht sie zu einem einsamen Flecken Erde. Widrige Winde, Untiefen und eine gefährliche Brandung an der rauen Felsenküste machen es Schiffen oft unmöglich, die Insel anzufahren. Die wenigen Bewohner sind an ein hartes Leben gewöhnt; sie leben zumeist vom Fischfang, von dem, was sie anbauen und von Schiffen eintauschen können, und vom Guano, den sie von einer Nachbarinsel holen. Oft sind sie mehrere Tage in ihren Booten auf der gefährlichen See unterwegs. Sie haben gelernt, sich mit den Bedingungen zu arrangieren, und scheinen nicht glücklicher oder unglücklicher als Menschen woanders.
Der Roman umfasst einen kleinen Figurenkreis, die handelnden Personen wechseln in einzelnen Kapiteln. 1961 leben Lise und ihr scheuer, eigenwilliger Sohn Jon alleine auf Tristan. Lises Mann Lars, Fischer wie fast alle hier, war oft wochenlang weg zur Arbeit in England. Dass es Lars nicht nur darum ging, seiner Familie mit dem, was er von den Fahrten mitbrachte, ein besseres Leben zu ermöglichen, hat Lise geahnt. Lars reichte die Enge der Insel nicht; eines Tages verliebte er sich in London und kehrte nicht mehr nach Tristan zurück. Und auch die Lehrerin Martha, unglücklich in ihrer erkalteten und kinderlosen Ehe mit Bert, träumt von einem anderen Leben und würde lieber heute als morgen auf und davon gehen – aber sie bleibt.
Unter der Oberfläche nachbarschaftlicher Verbundenheit brodelt es ebenso wie tief im Inneren der Insel, es gibt Verwerfungen, schwelende Verletzungen, Gewalt, Neid und Rachegefühle. 1961 bricht plötzlich der Vulkan auf Tristan aus und alle Bewohner werden evakuiert und nach Kapstadt gebracht – aber Jon, Lises Sohn, wird vermisst, und Marthas Mann Bert und ihr Bruder Sam bleiben auf der Insel, um ihn zu suchen …
Von Marianna Kurtto sind bisher auf Finnisch fünf Gedichtbände und zwei Romane erschienen. Mit Tristania, ihrem ersten Roman, ist ihr ein außergewöhnliches Prosadebüt gelungen, das für den Preis des Nordischen Rates nominiert war. Das Buch fasziniert von Beginn an durch die trügerische Leichtigkeit und Schönheit der Sprache, die überschaubar scheinende Handlung, die klar gezeichneten Charaktere. Zwar ist die Sprache des Romans einfach und klar, aber leicht zu lesen ist das Buch dennoch nicht. Man muss aufmerksam sein, denn vieles wird, wie es die Art der Menschen auf Tristan ist, nicht erzählt, und schält sich erst im Laufe der Lektüre aus Andeutungen und Zeichen heraus. Zeitebenen und Handlungsorte wechseln, und immer wieder schiebt sich die Vergangenheit in die Gegenwart des Jahres 1961. Die Protagonisten sind es nicht gewohnt, viel Introspektion zu betreiben, was aber nicht bedeutet, dass sie kein kompliziertes Innenleben besitzen. Kurttos poetische Sprache, die Exotik des kargen Schauplatzes und die existentielle Wucht der Geschichte, verbunden mit der Zärtlichkeit, mit der die Autorin ihre Figuren zeichnet, machen Tristania – in der flüssigen Übersetzung von Stefan Moster – zu einer außergewöhnlich berührenden und fesselnden Lektüre.
Ruth Roebke, Frankfurt a.M.