Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Klopfenstein, Eduard; Masami Ono-Feller (Hg)

Haiku. Gedichte aus fünf Jahrhunderten

Untertitel
Japanisch/Deutsch. Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Eduard Klopfenstein und Masami Ono-Feller. Unter Mitwirkung von Kaneko Tōta und Kuroda Momoko
Beschreibung

Egal, wie oft man sich mit einem Haiku beschäftigt, es erstaunt doch immer wieder, wie viel in diesen Dreizeilern aus 5, 7, 5, Silben geschieht; der überraschende Moment der Evidenz bleibt auch nach unzähligen Lektüren. Wie viel lässt sich dann erst in einem ganzen Buch voller Haikus entdecken! Im vergangenen Jahr erschien in einer Neuauflage bei Reclam ein wahrer Schatz: Der Herausgeberin Masami Ono-Feller und dem Übersetzer Eduard Klopfenstein ist in ihrem Band Haiku. Gedichte aus fünf Jahrhunderten das Kunststück gelungen, Originalgedicht und Übersetzung, editorische Genauigkeit, informative Kommentierung und gute Lesbarkeit zu vereinen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Reclam Verlag, 2022
Format
Gebunden
Seiten
422 Seiten
ISBN/EAN
978-3-15-011387-5
Preis
30,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Masami Ono-Feller, Studium der Germanistik und der Internationalen Beziehungen an der Sophia-Universität in Tokyo sowie der Germanistik und der Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg. Sie dichtet und publiziert Tanka, Haiku und Renku-Kettengedichte.

Eduard Klopfenstein, Professor der Japanologie an der Universität Zürich von 1989 bis 2005. Forschungsschwerpunkte: japanische Literatur, besonders moderne Literatur und Lyrik, japanisches Theater (Bunraku). Jury-Mitglied verschiedener Übersetzerpreise. Repräsentant des Japanese Literature Publishing Project (JLPP) im deutschsprachigen Raum.

Zum Buch:

Egal, wie oft man sich mit einem Haiku beschäftigt, es erstaunt doch immer wieder, wie viel in diesen Dreizeilern aus 5, 7, 5, Silben geschieht; der überraschende Moment der Evidenz bleibt auch nach unzähligen Lektüren. Wie viel lässt sich dann erst in einem ganzen Buch voller Haikus entdecken! Im vergangenen Jahr erschien in einer Neuauflage bei Reclam ein wahrer Schatz: Der Herausgeberin Masami Ono-Feller und dem Übersetzer Eduard Klopfenstein ist in ihrem Band Haiku. Gedichte aus fünf Jahrhunderten das Kunststück gelungen, Originalgedicht und Übersetzung, editorische Genauigkeit, informative Kommentierung und gute Lesbarkeit zu vereinen.

Erstaunlich ist auch, wie unterschiedlich die Übersetzungen von Haikus sein können und was für einen großen Unterschied in diesen verdichteten Texten Übersetzungsentscheidungen für einzelne Wörter machen können. Eduard Klopfenstein, bis 2005 Professor für Japanologie an der Universität Zürich, hat die interessante Entscheidung getroffen, sich nicht zwangsläufig an das strenge Silbenschema zu halten, und erlaubt sich Abweichungen. Und er wagt es, das vielleicht international bekannteste Haiku, Bashōs Haiku vom Frosch, trotz der unzähligen vorangegangenen Übersetzungen neu zu übersetzen, ohne dabei im Mindesten Endgültigkeit zu beanspruchen (Nr. 34).

Insgesamt fällt die sorgfältige und sehr edel gestaltete Aufmachung der Ausgabe ins Auge. Der Umschlag ist mit Leinen bespannt. Gemeinsam mit dem Aufdruck schimmert der Einband wie Seide und liegt herrlich in der Hand. Die Seiten sind gut eingerichtet und präsentieren das jeweilige Haiku sehr übersichtlich: Auf den Namen der Autor:innen folgt das Gedicht in deutscher Übersetzung mit dem japanischen Originaltext an der Seite und der Transkription darunter. Am unteren Ende der Seite findet sich der Kommentar, der Informationen zum Entstehungszusammenhang, zur kulturellen Einbettung und zur Übersetzung liefert. Ein ausführlicher Anhang bietet weitere Informationen. Hier finden sich Informationen zu den einzelnen Dichter:innen und ein Glossar. Interessant sind auch ein Text zum Kettengedicht, der Vorform des Haiku, von Masami Ono-Feller und ein Nachwort zur Geschichte der Haiku-Dichtung von Eduard Klopfenstein. Die insgesamt 305 Gedichte dieser chronologisch nach Autor:innen geordneten Anthologie reichen vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Die Kommentare sind durchaus hilfreich. Wie sonst wüssten wir, dass sich das Haiku von Masaki Yūko auf die Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 bezieht:

Hunderttausend Jahre später
Wenn ich dran denke: nichts mehr –
nur noch Mondschein! (Nr. 302)

Natürlich ist die Lektüre auch möglich, ohne den Kommentar zu berücksichtigen.

Es passt gut zur Konzeption des Bandes, dass das kurze Vorwort mit der Praxis des Haiku-Dichtens in der heutigen Zeit beginnt. Masami Ono-Feller, selbst aktive Haiku-Dichterin und Mitglied verschiedener Haiku-Gruppen, kann mit großer Sachkenntnis davon berichten. Organisiert in Vereinen und regelmäßig stattfindenden Treffen entstehen in Japan jährlich Tausende neue Haikus. Natürlich ist das Haiku-Dichten nicht auf Japan beschränkt. Das Haiku lädt geradezu dazu ein, damit zu spielen, allein oder in Gesellschaft. Die Anthologie von Masami Ono-Feller und Eduard Klopfenstein lässt sich in diesem Sinne als (sehr schönes) Übergangsbehältnis verstehen: sie versucht nicht, festzuschreiben, sondern lädt zur Auseinandersetzung ein – eine Einladung, die man angesichts eines so schön gestalteten Bandes nur schwer ausschlagen kann!

Alena Heinritz, Innsbruck