Belletristik

Drucken

Buchempfehlung Belletristik

Autor
Kleeberg, Michael

Das amerikanische Hospital

Untertitel
Roman
Beschreibung

1991 begegnen sich Hélène und David im Amerikanischen Hospital in Paris. David bricht vor ihren Augen zusammen und Hélène kümmert sich um ihn, bis das Pflegepersonal zur Stelle ist. Beide ahnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dieser ersten, zufälligen Begegnung, noch viele weitere folgen sollen, denn beide werden über Jahre hinweg, immer wieder zur Behandlung in das Krankenhaus kommen.

Verlag
Deutsche Verlags-Anstalt, 2010
Format
Gebunden
Seiten
240 Seiten
ISBN/EAN
978-3-421-04390-0
Preis
19,99 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Michael Kleeberg wurde 1959 in Stuttgart geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Böblingen und Hamburg, wo er später auch Politische Wissenschaften und Neuere Geschichte sowie an der Hochschule der Künste Visuelle Kommunikation studierte. Ab 1983 folgten einjährige Aufenthalte in Rom, West-Berlin und Amsterdam. 1986 siedelte er nach Paris über, wo er von 1987 bis 1994 neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit Mitinhaber einer kleinen Werbeagentur war. Seit 2000 lebt er als freier Schriftsteller und Übersetzer aus dem Französischen und Englischen in Berlin.

Zum Buch:

Verglichen mit seinen früheren Romanen – „Proteus der Pilger“, „Ein Garten im Norden“, „Der König von Korsika“, „Karlmann“ – kommt Michael Kleebergs neuestes Werk mit seinen knapp über 200 Seiten dünn daher. Die Anzahl der Akteure, die die Handlung des Buches vorantreiben, ist ebenfalls sehr überschaubar: Hélène, eine 30jährige Pariserin, und David, ein US-amerikanischer Berufssoldat. Auch passiert eigentlich nicht so richtig viel, und dennoch beeinträchtigt diese Knappheit die Qualität des Buches in keiner Weise.

1991 begegnen sich Hélène und David im Amerikanischen Hospital in Paris. David bricht vor ihren Augen zusammen und Hélène kümmert sich um ihn, bis das Pflegepersonal zur Stelle ist. Beide ahnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dieser ersten, zufälligen Begegnung, noch viele weitere folgen sollen, denn beide werden über Jahre hinweg, immer wieder zur Behandlung in das Krankenhaus kommen. David ist durch seine Erlebnisse als Teilnehmer am 1.Golfkrieg stark traumatisiert. Er leidet unter Angstzuständen und ist nicht mehr in der Lage, seinen Dienst zu erfüllen. Ihm soll psychotherapeutisch und psychologisch geholfen werden. Hélène kann auf natürliche Weise keine Kinder bekommen. Sie hat sich dazu entschlossen, die Reproduktionsmedizin in Anspruch zu nehmen, um die erwünschte Schwangerschaft zu ermöglichen. Beide erleben bei ihren so unterschiedlichen medizinischen Behandlungen Erfolg versprechende Fortschritte, erleiden aber auch herbe Rückschläge. Im Krankenhaus treffen sie immer wieder aufeinander, und über die Jahre kommen sie sich näher. Was sie verbindet, ist nicht nur, dass sie unter der Behandlung leiden und sich dennoch daran klammern. Sie teilen auch das Interesse an Literatur und insbesondere an der Lyrik. Sie können darüber reden, fassen Vertrauen zu einander und werden auf eine distanzierte Weise Freunde. Mit dem traumatisierten Berufssoldaten und der durch die Methoden der Reproduktionsmedizin zermürbten Frau hat Michael Kleeberg zwei Akteure aufeinander treffen lassen, die um die Handlungshoheit über ihr Leben ringen. Die strukturelle Ähnlichkeit ihrer psychischen Beschädigungen ist überraschend: Der Soldat, der sich unter das Kommando seiner Vorgesetzten begibt, soll über seine Handlungen nicht mehr nachdenken, sondern vor allem funktionieren und Befehle ausführen. Für deren Auswirkungen trägt er zwar nur eine Teilverantwortung, aber die Belastungen des Erlebten und Getanen schlagen trotzdem mit voller Wucht auf die Psyche durch. Die Frau, die ihren Kinderwunsch zu erfüllen hofft, liefert sich dem Behandlungssystem und seinem zeitlichen Diktat aus. Auf ihre Körperfunktionen reduziert, kann sie immer weniger über ihr Leben bestimmen. Sie unterwirft sich all den Behandlungsmethoden, um schwanger zu werden und den Fötus nicht zu verlieren, verliert dabei aber zusehends das Gefühl für sich selbst. Michael Kleeberg beschreibt detailgenau und mit der ihm eigenen sprachlichen Virtuosität, was die Reproduktionsmedizin zu leisten versucht und zu welcher Entfremdung sie führt. Auch die Erzählung der Kriegserfahrungen, die Davids Trauma verursacht haben, kommt ohne die Schilderung drastischer Gewalt daher, und sie wirkt deshalb umso eindrücklicher. Die Treffsicherheit im Ausloten und Ausleuchten der psychischen Verfassung seiner Figuren zeichnet den Stil des Buches aus und schafft eine ungewöhnliche Nähe zu ihnen. Mit „Das Amerikanische Hospital“ ist Kleeberg ein zutiefst einfühlsames, mitfühlendes und erhellendes Buch über die seelischen Beschädigungen zweier sehr unterschiedlicher Menschen gelungen. Obendrein erlaubt er seinen Protagonisten am Ende, wenn schon nicht „geheilt“, so doch zuversichtlich und gewissermaßen geläutert mit ihren seelischen Verletzungen umzugehen und an eine selbstbestimmte Zukunft zu glauben. Ralph Wagner, Ypsilon Buchladen&Café