Zum Buch:
Die Erde bebt, es kracht wie Donnerschlag, im Dorf wackeln die Dächer und die Bewohner bibbern vor Angst, denn es ist mal wieder so weit: Der Drache ist erwacht. Und jetzt heißt es, rasch eine hübsche Prinzessin finden, um sie dem hungrigen Wesen zum Fraß vorzuwerfen. Nur … was tut man, wenn im ganzen Dorf keine hübsche Prinzessin aufzutreiben ist? Nicht mal eine hässliche? Na, dann nimmt man halt ein Kind. Es wird also nicht lange gefackelt, und Herr Schmidt, der Dorfälteste, schüttelt seinen Zylinder gut durch und zieht anschließend ein Los heraus. Auf dem steht ein Name. Oskar.
Als Oskar dem Drachen begegnet – hält er sich erst mal die Nase zu, denn der Drache hat ganz üblen Mundgeruch vom langen Fasten. Und er ist nicht gerade erfreut über den mageren Knirps, der ihm da angeboten wird, diese halbe Zwischenmahlzeit. Oskar schlottern zwar die Knie, denn der Drache ist verdammt groß und ziemlich wütend, aber er hat eine Idee, denn er erinnert sich an ein altes Märchen. »An deiner Stelle würde ich eine halbe Portion wie mich mästen. Dann hättest du mehr von mir.«
Der Drache findet die Idee gar nicht so schlecht, also steckt er Oskar in einen Käfig und besorgt ihm all das, was auf der Einkaufliste steht, die, na ja, ganz schön lang ist. Oskar legt gleich los. Denn kochen kann er gut, das hat ihm seine Mutter beigebracht. Es gibt Spaghetti mit Tomatensoße, gegrillte Auberginen und zum Nachtisch selbstgemachtes Erdbeereis.
»Willst du etwas abhaben?«, fragt Oskar, als er fertig ist. Aber der Drache, obwohl sein hungriger Magen wegen all der guten Gerüche heftig knurrt, denkt gar nicht daran, denn »Drachen essen kein blödes Menschenessen!«
Am nächsten Tag gibt es als Vorspeise Krabbencocktail in Avocado, danach gefüllte Lammkeule und als Nachtisch Käsesahnekuchen mit Mandarinchenecken. Wieder fragt Oskar, ob der Drache etwas abhaben möchte, denn es ist ja genug da, doch der weigert sich nach wie vor und testet erst einmal, ob Oskar auch zugelegt hat. »Zeig mir deinen Finger!« Der Junge erinnert sich an das Märchen und hält dem schlecht sehenden Drachen ein Stöckchen hin. »Davon wird doch keine Ameise satt!«, brummt der Drache. Und seufzt. Denn es riecht so gut. »Es gibt noch Reste«, sagt Oskar freundlich. »Wenn du willst …«
»NEIN!«, faucht der Drache, obwohl ihm schon vor Hunger ganz schwindlig geworden ist, »NEIN! Oder … na gut. Wäre ja schade, das schöne Essen verkommen zum lassen.«
Am nächsten Tag übertrifft sich Oskar noch selbst in seinen Kochkünsten, es gibt Spargelcremesuppe, zartes Zanderfilet, dazu junge Kartoffeln und zum Nachtisch mit Orangeneis gefüllte Crêpe, Waldfrüchte und Schokoladensoße. Der Drache gerät völlig aus dem Häuschen, kann sich gar nicht satt essen an Oskars Köstlichkeiten. Von wegen doofes Menschenessen.
Als er einmal wieder mit neuen Einkaufstüten in die Höhle zurückkehrt, während Oskar ganz mit kochen beschäftigt ist, kommt dem Drachen die Idee, jetzt, wo er doch eben beim Optiker war und eine neue Brille bekommen hat, da könnte er auch gleich noch mal nachsehen, ob Oskar vielleicht doch zugenommen hat. Und was er da sieht, das macht ihn wirklich richtig sauer.
Ich habe früher immer behauptet, mich würden Bilderbücher in erster Linie durch ihre Gestaltung ansprechen, und danach erst würde mich die Geschichte interessieren. Ein Gedanke, der ja auch nicht von der Hand zu weisen ist. Aber diesmal, obwohl die Zeichnungen von Ute Krause nichts zu wünschen übrig lassen, diesmal hat mich zuallererst die Geschichte überzeugt, die ich für eine absolut gelungene Vorlesegeschichte halte, bei der alle Beteiligten viel zu lachen haben werden. In diesen Tagen ein guter Grund, sich unter die warme Bettdecke zu kuscheln. Oskars kulinarisches Abenteuer kann man sicherlich auch mehrmals hintereinander genießen.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln