Zum Buch:
Dem an der Entwicklung, dem Zustand und den Zukunftsperspektiven unserer Spezies interessierten Zeitgenossen ist dieses 2021 im Ullstein Verlag erschienene Buch von hochwillkommener Aktualität. Durch die Gesamtschau der Entwicklung unserer menschlichen Spezies auf einen weiteren (un-?) möglichen Fortbestand des „Homo sapiens, sapiens“, der hier zum Träger der „Hybris“, der Selbstüberschätzung wird und damit unter Umständen zur Selbstzerstörung führt, eröffnet das Buch des Paläontogen Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Mitarbeiter von Svante Pääbo, und des Journalisten Thomas Trappe bedenkenswerte Einsichten in unsere aktuelle Situation.
In zehn Kapiteln wird die Entwicklung des Tier-Menschen bis zum heutigen Endstand nachgezeichnet. Dabei ist das für den Leser faszinierendste Erlebnis weniger die archäogenetische Beschreibung der vielfältigen Entwicklungsstufen und Verzweigungen des Menschen über den Homo ergaster, den Neandertaler, zum Homo sapiens in seiner modernen Erscheinungsform, als vielmehr die der Lebenswelten, in die die verschiedenen Hominiden sich eingerichtet, sich ausgebreitet haben – und bis auf uns, den modernen Homo sapiens, alle ausgestorben sind.
Es ist schon ein Abenteuer und forderndes Lesevergnügen, das in unsere Conditio humana einführt und zu den Wurzeln zurückkehrt, die uns etwas zurückstutzen in unserer humanen Selbstgefälligkeit und unbescheidenen Selbstdefinition als Krone der Schöpfung. Die Erkenntnisse über die katastrophalen Abstürze unserer Verwandten, die teilweise viele Jahrtausende länger auf dieser Erde lebten als wir, können ein wichtiger Baustein für die (Selbst-) Erkenntnis sein: Wir Heutigen sind die zufällig Überlebenden.
Der Homo Sapiens ist einer, der weiß, aber keiner, der erkennt. Das scheint mir die Quintessenz dieses Buches zu sein. Insofern ist dieses Buch und sein Titel Hybris, Homo Hybris der Grundton, der über diesem Werk liegt. Hybris ist Übermut, seine Grenzen nicht zu erkennen, ist das Grundmuster.
Ein Ihm scheint ein Gen eigen zu sein, mit dessen Hilfe er seit dem Wechsel vom friedliebenden Jäger und Sammler zum landwirtschaftlich sesshaften Menschen im Holozän und in der anschließenden elftausendjährigen Warmzeit seine blutige Spur durch die Geschichte zieht.
Dieser Wechsel bedeutete einen Umbruch des gesamten bisherigen Ökosystems, fast gleichzeitig an verschiedenen Stellen des Planeten. Von diesem Augenblick an „grassierte der Mensch in der Welt. Für alles, was sich ihm in den Weg stellte oder dessen Ausbeutung ihm nutzte, hatte er nichts als tödliche Gewalt übrig“ (S. 284).
Die Autoren zeichnen ein düsteres Bild einer Menschheit, die an einem Endpunkt angekommen zu sein scheint. Die Kämpfe um Ressourcen wie Wasser und Nahrung, um Konsum aller Art werden sich steigern, denn dem menschlichen Genom scheint eine Selbstbeschränkung nicht eingebaut zu sein. Dies alles hat über den Raubbau, die unbedachte und bedenkenlose Ausbeutung, zu unserer Klimakrise geführt.
Die kommenden Krisen, verursacht durch Pandemien oder klimabedingte Katastrophen, werden sich verschärfen. Die modernen Menschen werden zu nationalen oder internationalen Sanktionen greifen, die Kriege nicht ausschließen. Im schlimmsten Fall könnte der genetische Selbstzerstörungsmechanismus wirksam werden. Selbstbeschränkung versus Maßlosigkeit scheinen die Schlüssel für Hoffnung einerseits und Auslöschung andererseits zu sein.
Der Schluss des Buches mag eine aufmunternde Aufforderung sein, „das bis jetzt Gewonnene nicht zu verjubeln. Es ist Zeit für den nächsten großen Sprung in eine Welt, die uns genügt“. Fazit: ein Buch, das zum Nachdenken, auch über unsere eigene Art zu leben, anregt (und vielleicht dazu, Schlüsse zu ziehen).
Notker Gloker, Heiligenberg