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Autor
Köhlmeier, Michael

Das Mädchen mit dem Fingerhut

Untertitel
Roman
Beschreibung

„Dieser Mann war ihr Onkel.
Sie wusste nicht, was das Wort bedeutet.
Sie war sechs Jahre alt. (…)
Er gab ihr einen Schubs, als die Ampel grün war, und sie ging über den Zebrastreifen zum Markt. Sie blickte sich nicht um. Er hatte gesagt, das dürfe sie nicht, sie solle schnell gehen.“

So beginnt das neue Buch von Michael Köhlmeier. Ein kleines Mädchen allein in einer fremden, winterlichen Stadt. Sie kennt niemanden, spricht die Sprache nicht. Sie ist eines von vielen Kindern, an denen die Menschen achtlos vorübergehen. Es ist eine Geschichte über Menschen ohne Wurzeln und Geschichte. Köhlmeier erzählt sie in einer sachlichen und knappen Sprache, und die nicht auserzählten Bilder hat der Leser hinterher im Kopf und wird sie so schnell nicht mehr los.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hanser Verlag, 2016
Format
Gebunden
Seiten
144 Seiten
ISBN/EAN
9783446250550
Preis
18,90 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Michael Köhlmeier, geb. 1949, wuchs in Hohenems/Vorarlberg auf, wo er auch heute lebt. Für sein Werk wurde der österreichische Bestsellerautor unter anderem mit dem ‘Manes-Sperber-Preis’, dem ‘Anton-Wildgans-Preis’, dem ‘Grimmelshausen-Preis’ sowie 2014 mit dem ‘Walter Hasenclever-Literaturpreis’ ausgezeichnet.

Zum Buch:

„Dieser Mann war ihr Onkel.
Sie wusste nicht, was das Wort bedeutet.
Sie war sechs Jahre alt. (…)
Er gab ihr einen Schubs, als die Ampel grün war, und sie ging über den Zebrastreifen zum Markt. Sie blickte sich nicht um. Er hatte gesagt, das dürfe sie nicht, sie solle schnell gehen.“

So beginnt das neue Buch von Michael Köhlmeier. Ein kleines Mädchen allein in einer fremden, winterlichen Stadt. Sie kennt niemanden, spricht die Sprache nicht. Sie ist eines von vielen Kindern, an denen die meisten Menschen achtlos vorübergehen. Jemand gibt ihr zu essen und zu trinken. Als das Wort Polizei fällt – das einzige, das sie in der fremden Sprache kennt – beginnt sie zu schreien. Das solle sie tun, hatte der Onkel ihr gesagt.

„Das Mädchen mit dem Fingerhut“ ist die Geschichte eines Kindes, das nicht weiß, wo es herkommt, wie es heißt und wer seine Familie ist. Es lebt auf der Straße, wird irgendwann aufgegriffen und in ein Heim gebracht, flieht mit zwei anderen Kindern. Die drei frieren und hungern. Sie stehlen Nahrungsmittel, suchen einen Unterschlupf, werden vertrieben, ziehen weiter. Es ist ein trostloses Leben, ohne Perspektive – aber was das überhaupt ist, wissen die Kinder nicht. Sie leben im Augenblick, und was sie brauchen, sind Nahrung, Wärme und das wenige an Geborgenheit, das sie sich gegenseitig geben können. Aber es ist auch eine Kraft in ihnen, eine ungebrochene, wilde Kraft zu leben, zu überleben, die nicht nach Moral, nach richtig oder falsch fragt.

Köhlmeier erzählt von Menschen ohne Wurzeln und Geschichte. Er erzählt schnörkellos und sachlich, in knappen Szenen, die den Leser schnell in ihren Bann ziehen – gerade auch, weil er sich weder in das Innere seiner Figuren hineinschreibt noch über sie oder das Geschehen urteilt. Diese Nüchternheit, das Fehlen jeglicher falschen Sentimentalität machen das Buch zu einer atemberaubenden Lektüre, der man bis hin zum verstörenden Ende mit Spannung folgt.

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt