Zum Buch:
Elephantina ist eine ambitionierte Dichterin im Teenager-Alter. Einem Avantgarde-Dichter folgt sie aus Kiew nach Moskau, dorthin, wo das Leben tobt und die Kunst blüht. Aber nicht die jugendliche Liebestollheit Elephantinas steht im Vordergrund dieses Romans, sondern das Leben im Moskau der 1980er Jahre unter anarchischen Künstlern im wilden Untergrund. Heraus kommt eine – so komische wie anrührende – Liebeserklärung an die schrulligen, exzentrischen Gestalten der damaligen Künstlerszene, die die Autorin selbst im Kreise der Moskauer Konzeptualisten miterlebt hat. Julia Kissina, die selbst einst aus Kiew nach Moskau zog, lebt heute in Berlin. Für die deutsche Ausgabe hat sie ihren russischen Text stark bearbeitet.
Elephantina studiert Kunst in Kiew, doch sie will mehr: eine Dichterin werden. Sie folgt einem strengen Manifest und gibt sich ihren Künstlernamen. Eines Tages stellt ihr ein Bekannter zwei Avantgardedichter aus Moskau vor. Einer der beiden, der charismatische Andrej, fasziniert sie dermaßen, dass sie ihn zu ihrem Guru erklärt und ihm aus dem vergleichsweise provinziellen Kiew nach Moskau folgt. Fortan widmet sie sich der Sprache, mit der sie die Hässlichkeit ihres Idols in den verrücktesten, zärtlichsten Wortvariationen besingt. In Moskau beschränkt sich ihre – von ihrem Angebeteten immer wieder zurückgewiesene – Liebe auf die hohe Minne aus der Ferne und seine Texte, die sie jedem, ob er will oder nicht, rezitiert. Eine schwärmerische Jugendliebe ist das, die Elephantina zwar ständig beschäftigt, aber keineswegs davon abhält, Bekanntschaft mit höchst skurrilen Gestalten der Moskauer Kunstszene zu machen. Inspiriert von ihrer fernen Muse Andrej arbeitet sie an einem Versepos mit dem Titel „Die sieben Stufen des Todes“ und pflegt eine ästhetisch-schmachtende Todessehnsucht, die nun mal zum Geniedasein dazugehört.
Aber das Leben in Moskau hat seine handfesten, harten Seiten. Eine feste Bleibe findet sie nirgends, ständig muss sie sich erneut auf die Suche nach einer Unterkunft machen. Mit Hilfe von Freunden kommt sie mal in einer Theatergarderobe, mal in einem Druckerei-Lager, mal im Puschkin-Museum unter. Eine Zeitlang wohnt sie auch bei der Großmutter einer Freundin. Obwohl die exzentrische alte Dame sie nachts über die Geheimnisse des Lebens aufklärt („Es gibt keine Liebe, Kindchen. Nur das wilde Tier in unserem unersättlichen Herzen.“), wird sie auch dort nicht heimisch. Die verhasste Lehranstalt, ein Theaterinstitut, an dem sie eine Zeit lang widerwillig studiert, will sie um jeden Preis verlassen – auch wenn sie eine Scheinheirat eingehen muss, um legal in Moskau leben zu dürfen.
Beinahe jedes Kapitel beginnt mit einer Chronik des Jahres. Weltpolitische Ereignisse und wegweisende wissenschaftliche Errungenschaften werden aufgezählt, bevor die Perspektive wieder auf das Moskau Elephantinas zusammenschrumpft. Die spiegelt die Umbrüche im bröckelnden Sowjetsystem und in der Welt auf ihre Weise: durch die satirische Darstellung von Situationen, die das Leben im Moskau der 1980er Jahre prägten. Mit einer unfreiwilligen Salve aus Knöpfen, die von ihrem Mantel abspringen, besteht Elephantina ein Verhör beim KGB; gnadenlos wird dann wiederum aber auch die Ernsthaftigkeit wichtigtuerischer Intellektueller der Gegenkultur ins Komische verkehrt.
Frech ist diese Ich-Erzählerin und voller Spott für alles und jeden – nicht zuletzt für sich selbst und ihr jugendliches Pathos. Elephantinas ironische Distanz aber unterläuft niemals ihre ernsthafte Hingabe an die Kunst. Gesund für Körper und Geist ist es sicherlich nicht, Kunst und Leben so Weise zu verschmelzen, wie es die junge Heldin tut. Ihre Begeisterung für das Künstlerische in den alltäglichen Begebenheiten aber überträgt sich auch auf den Leser. Wunderbar nach allen Seiten ausstrahlende Sprachbilder machen deutlich: die Erzählerin ist eine Dichterin, größenwahnsinnig, trotzig, poetisch, manchmal traurig, aber dabei stets ungeheuer energisch.
Alena Heinritz, Mainz