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Autor
Kinsky, Esther

Hain

Untertitel
Geländeroman
Beschreibung

Ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2018 in der Sparte Belletristik

Geländeroman nennt Esther Kinsky ihr neues Buch Hain im Untertitel; die Autorin beschreibt Erinnerungen an Menschen und an Gegenden, die mit ihnen verknüpft sind. Es sind die Orte, die bleiben, wenn Menschen gehen. Hain ist ein Buch der Trauer und des Verlustes, in einer luziden Sprache, die keinem Schmerz ausweicht. Aber auch voller Kraft und Mut und darin dem Leben zugewandt. Ein außergewöhnliches Buch, das einen großen Sog entfaltet und den Leipziger Buchpreis in der Sparte Belletristik mehr als rechtfertigt.
(ausführloche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp Verlag, 2018
Format
Gebunden
Seiten
287 Seiten
ISBN/EAN
978-3-518-42789-7
Preis
24,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Esther Kinsky wurde 1956 in Engelskirchen geboren und lebt in Berlin. Für ihr umfangreiches Werk, das Übersetzungen aus dem Polnische, Russischen und Englischen ebenso umfasst wie Lyrik, Essays und Erzählprosa, wurde sie vielfach ausgezeichnet.

Zum Buch:

Geländeroman nennt Esther Kinsky ihr neues Buch Hain im Untertitel; die Autorin beschreibt Erinnerungen an Menschen und an Gegenden, die mit ihnen verknüpft sind. Es sind die Orte, die bleiben, wenn Menschen gehen. Hain ist ein Buch der Trauer und des Verlustes, in einer luziden Sprache, die keinem Schmerz ausweicht. Aber auch voller Kraft und Mut und darin dem Leben zugewandt.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert, gerahmt von Prolog und Epilog. Im ersten Teil ist die Ich-Erzählerin (da das Buch im Untertitel deutlich als Roman bezeichnet wird, spreche ich hier nicht von der Autorin) auf dem Weg nach Italien. Ihr langjähriger Lebenspartner ist gestorben, sie fährt zwei Monate später nach Olevano Romano, einen kleinen Ort nordöstlich von Rom, in sein Haus. Es ist Winter, der Ort wie ausgestorben. Eine Erstarrung liegt über allem, eine Unbehaustheit, die sich im Innern der Erzählerin spiegelt. Die Tage vergehen mit Spaziergängen, Beobachtungen am Fenster, kleinen Ausflügen in die Umgebung. Als die Bäume das erste Grün zeigen, fährt sie weg.

Der zweite Teil besteht überwiegend aus Erinnerungen an Kindheit und Jugend, an Reisen mit der Familie nach Italien und besonders an den verstorbenen Vater. Einen zwar anwesenden, aber doch immer etwas fernen Vater, dessen Liebe zu diesem Land, der Sprache und besonders zu den Etruskern die Familie in abgelegene Bergdörfer und unscheinbare kleine Städte bringt. Dort steigt der Vater in die unterirdischen Gräber der etruskischen Nekropolen, verliert sich im Blau der Gemälde Fra Angelicos oder streift ohne die Familie einsam durch die Orte – wohl in dem Wunsch, ein wenig dazuzugehören, und doch immer außen vor bleibend.

Im letzten Teil ist die Erzählerin im Winter ins Po-Delta gereist. Sie ist alleine, hat sich in einer kleinen, ziemlich desolaten Pension eingemietet. Es ist bitterkalt, und statt des erwarteten feuchten, die Landschaft sanft verhüllenden Dunstes hat ein erbarmungsloser Wind die Gegend blankgefegt. Sie durchstreift in langen Spaziergängen eine Gegend, die nicht Land und nicht Meer ist. Aufgelassene Salinen, brackiges Wasser, von Dämmen durchzogen, belebt durch ein paar Vögel. Dahinter Felder, die dem Delta durch Trockenlegung abgerungen wurden, darin Menschen, die ebenso wenig zu dem Land zu gehören scheinen, wie sie noch auf dem Wasser zu Hause waren.

Hain ist ein Buch mit wenig Handlung. Es passiert nichts, womit sich ein herkömmlicher Roman füllen ließe. Der Text besteht aus Beobachtungen, Stimmungen und Erinnerungen. Aus matten Farben und gedämpften Geräuschen, aus Leere, Einsamkeit und Verlust. Nie geht die Autorin so weit, ihre Gefühle auszubreiten oder sich zu erklären, und nie spricht sie über das, was in ihr vorgeht. Alles bleibt im Sichtbaren und ist präzise beobachtet – das ist Erklärung genug. Innen und Außen werden austauschbar, die Gegenden, die sie beschreibt, werden zu Seelenlandschaften. In ihrem Willen zur Wahrnehmung – auch zur Wahrnehmung der Starre, der Ödnis und Hässlichkeit – liegt große Kraft und Ruhe, Poesie und Schönheit. Ein außergewöhnliches Buch, das einen großen Sog entfaltet und den Leipziger Buchpreis in der Sparte Belletristik mehr als rechtfertigt.

Ruth Roebke, Bochum