Zur Autorin/Zum Autor:
Sarah Khan, Autorin und Journalistin, geboren 1971 in Hamburg, lebt in Berlin. Sie studierte Volkskunde und Germanistik. Sie hat drei Romane publiziert, ihr letzter Roman, Eine romantische Maßnahme, erschien 2004.
Berlin, diese Stadt, die sich so schnell umkrempelt wie keine andere in Deutschland und in der Geschichte inzwischen nur noch als in Prachtbauten verwaltete Artefakte vorkommt, ist voller Gespenster. Sarah Khan hat sie aufgespürt. Untote in wilhelminischen Krankenhäusern, Zwangsarbeiterinnen in einer ehemaligen Fabrik und sogar eines, das sagen konnte, wo die Stasi ihre Wanzen in einer Wohnung versteckt hatte. Das Resultat ihrer Recherchen ist unglaublich, komisch und ja, durchaus ein wenig gruselig.
(ausführliche Besprechung unten)
Dass Berlin voller Gespenster ist, hat man eigentlich immer schon gewusst – da genügt der Blick in die Tageszeitungen. Sarah Khan ist jedoch nicht hinter den leeren Larven der Hauptstadt her, ihr haben es richtig handfeste Gespenster angetan. Solche, die in alten, muffigen Mietshäuser spuken, weil sie zu Lebzeiten in KZs abtransportiert wurden. Im ehemaligen Krankenhaus und heutigen Künstlerhaus Bethanien ist sie auf der Spur von Patienten, die wahrscheinlich dort gestorben sind. Und in Berlins Selbstmordhochhaus Windmühle, lauscht sie seltsamen Sphärenklängen.
An all diesen Orten verbreiten die Geister Unbehagen: Kälteströme durchwehen Schlafzimmer, in der nächtlich spiegelnden Scheibe sieht man Schatten durch das Zimmer gehen und in der Wand verschwinden. Bilderrahmen fallen von den Wänden, Lichter gehen von alleine aus. Es gab sogar ein Gespenst, das auf Anfrage die Stellen benannte, wo die Stasi in der Wohnung Wanzen angebracht hatte. Die Bewohner der unheimlichen Wohnungen empfinden Beklemmungen, geraten in seltsame Zustände und ziehen zumeist bald wieder aus.
Unter den erzählten Geschichten liegt ein weiterer Text, der davon spricht, wie sich in dieser Stadt alt an neu reibt. Das alte Berlin, nun schick saniert und bewohnt von jungen, hoffnungsfrohen Zugezogenen, beharrt auf der Geschichte seiner Bewohner, in dem es diese als Gespenster weiter leben lässt. So ist es eine hübsche Pointe, dass ein letztes Gespenst in einer aufgebrezelten Etage am Hackeschen Markt wohnt, im Anbau, der nach außen hin seine alte Fassade zeigt, dahinter aber nur ein schnöder Neubau ist.
Sarah Khan verfolgt hartnäckig die jeweiligen Geistererscheinungen. Spürt ehemalige Bewohner der alten Häuser auf, recherchiert in Archiven und unternimmt Feldversuche. Man muss nicht mit den spökenkiekerischen Gruselgeschichten der eigenen Großmutter aufgewachsen sein, um Gefallen an den skurrilen, schrägen, mal schnodderig, mal melancholisch erzählten Begebenheiten zu finden. Ein wenig Spaß am Abgedrehten reicht schon, und man kann 190 Seiten lang schmunzeln, zweifeln und sich manchmal auch leise gruseln.
Ruth Roebke, Autorenbuchhandlung Marx & Co., Frankfurt