Zum Buch:
In den kolumbianischen Bergen unweit von Medellín liegt La Oculta, die Finca der Familie Ángel, verborgen in einem Taleinschnitt. Es ist der letzte Grund und Boden, der die Geschwister Antonio, Eva und Pilar mit ihren Ahnen verbindet. Als ihre Mutter Ana auf der Finca stirbt, wird es Zeit, Abschied zu nehmen. Ein Abschied, der mehr als zwei Jahre dauern wird.
Es sind die drei Geschwister, denen Héctor Abad in seinem Roman eine Stimme verleiht. Antonio, der Geiger, lebt seit Jahren in New York mit der Liebe seines Lebens zusammen, dem Afroamerikaner Jon, einem Künstler. Wenn Antonio von den ersten Siedlern, von der Geschichte des Landstriches rund um La Oculta und von den Generationen seiner Familie erzählt, spürt man in jedem Satz die Sehnsucht dieses Mannes, der aus seinem Land fortgegangen ist, weil er in der konservativen kolumbianischen Gesellschaft als Homosexueller niemals frei hätte leben können. Pilar, seine Schwester, lebt diese konservativen Werte. Seit ihrer Jugend liebt sie den gleichen Mann, Alberto, und sie liebt ihn mit der gleichen Treue, mit der sie betet, sich um das Anwesen der Familie kümmert und die Toten für ihre letzte Reise herrichtet. Für Eva, die hübsche und misstrauische, die es niemals lange mit einem Partner ausgehalten hat, ist das Leben wie ein Abenteuer. Sie fesselt die Leser mit der Geschichte ihrer Flucht vor El Músico, einer Gruppe von Drogendealern und Paramilitärs, die sie töten wollten, nachdem sie dem Verkauf der Finca an diese Räuber nicht sofort zugestimmt hatte. Die wechselnden Perspektiven der Geschwister sorgen nicht nur für eine schöne Abwechslung beim Lesen, es entsteht auch ein facettenreiches Bild der Familie und der Gesellschaft und Geschichte Kolumbiens.
Abad hat diesen Roman wie eine Fuge komponiert. Über zwei ganze Jahre spannt er den Erzählbogen, in dem die drei Stimmen der Geschwister – zu Beginn weit voneinander entfernt – aufeinander zustreben, während des Erzählens mehr und mehr miteinander verflochten werden und schließlich in einer Engführung von gegenseitiger Liebe und Achtung bei allen nicht zu übersehenden Unterschieden gipfeln. Wenn sich der letzte Akkord am Ende des Romans in einzelne Töne auflöst, klingt in der Erinnerung an das Erzählte die Erinnerung an ein schon lange verlorenes Paradies mit.
Der Autor ist von Ende Mai bis Anfang Juni in Deutschland und der Schweiz auf Lesereise: Berlin (Instituto Cervantes, 30.5.), Hamburg (Instituto Cervantes, 31.5.), München (Instituto Cervantes, 1.6.), Erlangen (Romanisches Seminar der Universität, 2.6.), Frankfurt (Festival LiteraTurm, 3.6.), Freiburg (Romanisches Seminar der Universität, 6.6.) und Zürich (Literaturhaus Zürich, 7.6.). Ein Besuch lohnt sich.
Susanne Rikl, München