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Von rechts werden angesichts der Krise allerlei „Retter“ und „Führer“ der angeblich gefährdeten „Nation“ ins Spiel gebracht, und aus der elitären Mitte wird ausgerechnet „der Markt“ als „kritisches Korrektiv einer hemmungslosen Mehrheitsdemokratie“ – so der FAZ-Redakteur Rainer Hank – propagiert. Von solchen populären Kurzschlüssen ist die stringente Analyse der aktuellen Krise des Berliner Journalisten Steffen Vogel frei. Er versteht die Krise nicht als „Eurokrise“ und schon gar nicht als „Staatsschuldenkrise“, wie Apologeten des Neoliberalismus und viele Politiker meinen.
Die Ursachen der Krise liegen viel tiefer und wenn man ihr partout einen immer nur halbrichtigen Namen geben will, so wäre „Bankenkrise“ der zutreffendste. Bis in die 70er Jahre funktionierte das Zusammenspiel von Massenproduktion, Massenkonsum, breiter Lebensstandardsteigerung und Sozialstaatsausbau dank des kontinuierlichen Wirtschaftswachstums und der Produktivitätssteigerung. Mit der ersten Ölpreiskrise kam das Zusammenspiel ins Stocken, d.h., das Wachstum verringerte sich, die Massenarbeitslosigkeit breitete sich aus, die Staatsverschuldung stieg.
Im Zeichen dieser Krise begann die neoliberale Umsteuerung von Wirtschaft und Staat. Den bisherigen Höhepunkt bildet die fast widerspruchslos hingenommene Proklamation der „marktkonformen Demokratie“ durch die Kanzlerin Angela Merkel am 1. September 2011. Sie plädierte damals dafür, „Wege zu finden, die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist, also dass sich auf den Märkten die entsprechenden Signale ergeben.“ Der etwas verquere Satz meinte nichts anderes als den Vorrang der Finanzmärkte vor dem Verfassungsorgan Parlament und die Abwälzung der Krisenkosten auf die Masse der Bevölkerung.
Vogel analysiert die einzelnen Etappen der Krise umsichtig und mit stichhaltigen Daten. Das Platzen vieler Subprime-Hypotheken in den USA brachte neben der amerikanischen Lehman Brothers Bank auch europäische Banken in Schwierigkeiten. Zuerst musste in Deutschland die IKB mit 10 Milliarden Euro gerettet werden. In allen EU-Staaten wurden in den Jahren 2008-2010 rund 1,6 Billionen Euro (etwa 13 Prozent des EU-Bruttosozialprodukts) aufgewendet. Private Schulden und Verluste verwandelten sich fast über Nacht in öffentliche Schulden und Verluste, womit sich die Staatsschulden im EU-Durchschnitt um ein Drittel erhöhten.
Die Rede von der „Eurokrise“ vernebelt die realen Zusammenhänge. Das wirtschaftliche Ungleichgewicht innerhalb der EU, d.h. das Gefälle zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden wurde durch die Währungsunion nicht beseitigt. Die EU-Verträge und das EZB-Statut verbieten einen Lastenausgleich zwischen den Mitgliedstaaten ebenso wie eine Vergemeinschaftung von Schulden. Stattdessen verordnete die EU in Kooperation mit dem Internationalen Währungsfond den in Not geratenen Staaten einen rigiden Sparkurs, der mit dem Fiskalpakt in den Rang einer Verfassungsnorm gehoben wurde. Dieser Pakt wurde zur Umgehung von EU-Recht als völkerrechtlicher Vertrag formuliert. Er enthält keine Kündigungsklausel und verordnet den Staaten einen Wettlauf beim Sozialabbau, bei der „Verschlankung“ durch Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und und bei der Verbilligung von Arbeitskosten.
Ergänzt wurde der Fiskalpakt durch den „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM), mit dem freilich nicht Staaten „gerettet“ wurden, sondern Banken, die vor dem Zusammenbruch standen, weil sie griechische Staatsanleihen gekauft hatten und der griechische Staat die Zinsen nicht zahlen konnte.
Fiskalpakt und ESM tragen „zur Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie“(Vogel) bei, da die Einzelstaaten mit ihnen ihre Souveränität über den Staatshaushalt verlieren. Vogel zeigt am Beispiel Griechenlands, wie die Austeritätspolitik nicht nur die Legitimität von Parteien und Parlament untergräbt, sondern durch den Sparzwang und den Sozialabbau auch die sozialen Grundlagen des Zusammenlebens. Sparzwang und Sozialabbau verschärfen Ungleichheit und Umverteilung von unten nach oben.
Vogel interpretiert das EU-Krisenmanagement überzeugend als eine „Revolution von oben“, verliert jedoch nicht aus den Augen, dass sich dagegen sowohl in Griechenland wie in Spanien energischer Protest im Namen einer noch etwas diffusen Hoffnung auf die „wahre Demokratie“ von unten artikulierte. Vogels nüchtern abwägende Analyse überschätzt weder diese Proteste, noch dramatisiert er das „hierarchische Gefälle“ zwischen Berlin und der Rest-EU zur „deutschen Gefahr“. Besonders hilfreich ist eine rund dreißig Seiten umfassende „Chronologie der Krise in Europa“ von Vogel und Sarah Ernst, die alle wichtigen Daten zur Entwicklung der Krise enthält.
Rudolf Walther, Frankfurt am Main