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Autor
Virza, Edvarts

Straumēni

Untertitel
Aus dem Lettischen von Berthold Forssman
Beschreibung

Straumēni ist ein altes Gehöft in Zemgalen, einem Landstrich im südlichen Lettland. Mitte des 19. Jahrhunderts ist das bäuerliche Leben noch weitgehend so, wie es seit Generationen war. Es folgt dem Jahresrhythmus, der die Arbeiten auf dem Land vorgibt. In diesem Gefüge haben die Menschen ihre vorgegebenen Tätigkeiten und Rollen, und jenseits des zugewiesenen Platzes gibt es wenig Spielraum für den Einzelnen. Deshalb ist der Hauptakteur dieses Buches das Gehöft – Straumēni.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Guggolz Verlag, 2020
Format
Gebunden
Seiten
333 Seiten
ISBN/EAN
978-3-945370-25-4
Preis
25,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Edvarts Virza (1883–1940) wurde als ältestes von neun Bauernkindern unter dem Namen Jēkabs Eduards Liekna auf dem zemgalischen Land bei Iecava geboren. Nach einem höheren Schulabschluss begann er 1902 in Riga ein technisches Studium. Schon nach kurzer Zeit zog es ihn nach Moskau, wo er juristische Vorlesungen besuchte. Als 1905 die Russische Revolution ausbrach, kehrte er zurück nach Lettland und veröffentlichte 1907 seinen ersten Gedichtband »Biķeris«. Während des Ersten Weltkriegs wurde seine Familie aus dem heimatlichen Zemgale vertrieben, Virza wurde zur Armee eingezogen. Ab 1918 arbeitete er für Zeitungen und Zeitschriften und setzte sich für die Unabhängigkeit Lettlands ein. 1920/21 leitete Virza das lettische Pressebüro in Paris, zurück in Lettland trat er dem Bauernverband, der lettischen Bauernpartei, bei und verantwortete bis zu seinem Tod den Literaturteil der Parteizeitung »Brīvā Zeme«. Außerdem leitete er einige Jahre das Daile-Theater in Riga. Während der Sowjetzeit fielen seine Schriften der Zensur zum Opfer, dennoch überdauerte sein Ruhm vor allem wegen »Straumēni«, das er 1933 verfasst hatte. Nur wenige Monate vor der Sowjetischen Okkupation Lettlands starb Virza im März 1940 in Riga.

Zum Buch:

Straumēni ist ein altes Gehöft in Zemgalen, einem Landstrich im südlichen Lettland. Mitte des 19. Jahrhunderts ist das bäuerliche Leben dort noch weitgehend so, wie es seit Generationen war. Es folgt dem Jahresrhythmus, der die Arbeiten auf dem Land vorgibt. In diesem Gefüge haben die Menschen ihre vorgegebenen Tätigkeiten und Rollen, und jenseits des zugewiesenen Platzes gibt es wenig Spielraum für den Einzelnen. So sind es weniger die Menschen, die den Mittelpunkt des Buches bilden, sondern vielmehr ihre Funktionen und Arbeiten, die wiederum den Anforderungen der Natur und der Landwirtschaft folgen. Im Zentrum steht das Gehöft – Straumēni.

Die Handlung – falls man davon überhaupt reden kann – spielt in der Zeit kurz vor Beginn der Mechanisierung der Landwirtschaft. Sie beginnt mit dem Winterende, als das Eis schmilzt und der kleine Fluss Lilupe sich in einen reißenden Strom verwandelt, der mitten durch das Gehöft braust. Beschrieben werden die vielfältigen Tätigkeiten der Männer und Frauen im Haus, in den Ställen und auf den Feldern, die mit dem Frühjahr beginnen. Der kurze, heiße Sommer gipfelt in der Heu- und Getreideernte. Der Herbst ist die Zeit der Kartoffelernte und des Haltbarmachens der Vorräte für die Winterzeit, in der sich eine harte kalte Decke aus Eis und Schnee über das Land legt und das Leben draußen fast zum Stillstand bringt. Das ist die Zeit, in der im Innern des Hauses der Flachs gesponnen wird und die Werkzeuge für das kommende Jahr repariert werden. Dieser Kreislauf wird durch die unterschiedlichsten Feste unterbrochen, die die harte Arbeit kurz vergessen lassen und bei denen geschmaust, getrunken und getanzt wird – und das nicht zu knapp!

Dass der Text, der keinerlei Identifikation mit einzelnen Personen bietet, dennoch nie langweilig wird, liegt an Edvarts Virzas wunderbar genauen und sinnlichen Sprache. Man fühlt beim Lesen die sorgsam glatt geschliffenen Holzstiele der Arbeitsgeräte, hört das trockene Stroh unter den Füßen der Schnitter knacken und riecht das frisch gebackene Brot. Man sieht die weiten Himmel und Wolken, die Zugvögel, den ersten Schnee, und man blickt in eine vom schweren Essen und den vielen Körpern aufgeheizte Schänke, in der nach dem Jahrmarktbesuch die obligatorische Schlägerei zwischen den Land- und Stadtbewohnern ausbricht.

Wenn man dem Buch etwas vorwerfen könnte, ist es die Idealisierung einer untergegangenen bäuerlichen Welt. Vielleicht sollte das Nachwort vor der Lektüre des Haupttextes gelesen werden, denn es erklärt vieles, an dem der heutigen Leser sich stören könnte – als erstes die unhinterfragten Rollenbilder von Herren, Knechten und Mägden oder das Frauenbild. Soziale Konflikte spart der Autor völlig aus – aber seine Absicht ist auch eine andere. Edvarts Virza wurde 1883 in einer Zeit geboren, in der das überwiegend bäuerliche lettische Volk auf unterschiedliche russische Gouvernements verteilt lebte, während die Oberschicht deutschstämmig war. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Lettland erstmals unabhängig. Dennoch war es nach Jahrhunderten einer als Unterdrückung empfundenen Geschichte nicht einfach, eine eigene nationale Identität zu finden. Straumēni ist als ein Beitrag dazu zu verstehen, und es ist die hohe stilistische Qualität des Textes, die die Lektüre zu einem literarischen Genuss macht. Sie bescherte dem 1933 erstmals erschienenen Buch einen großen Erfolg, der – unterbrochen durch die Jahre der sowjetischen Okkupation – in Lettland bis heute anhält. Es lohnt sich, Straumēni jetzt auch auf Deutsch zu entdecken!

Ruth Roebke, Bochum