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Autor
Vesaas, Tarjei

Das Eis-Schloss

Untertitel
Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Nachwort von Doris Lessing
Beschreibung

Die elfjährige Siss lebt in einem kleinen Ort in Nord-Norwegen. In der Schule ist sie beliebt, und auf dem Pausenhof führt sie die Spiele der anderen an. Eines Tage kommt ein neues Mädchen in die Klasse: Unn. Sie sei Waise geworden, heißt es, und lebt nun bei ihrer Tante im Ort. Unn ist anders als die anderen, sie hält sich fern, steht in den Pausen allein an der Mauer des Schulhofs und verweigert den Kontakt. Siss ist neugierig auf Unn. Sie hofft, dass es irgendwann zu einer Annäherung kommen wird, und eines Tages ist es so weit: Unn bittet Siss, sie zu besuchen. So geht Siss den Weg zum Haus der Tante, gespannt auf die Begegnung und aufgeregt. Etwas Neues wird beginnen, das fühlt sie, etwas, das ihr Leben verändern wird. Das trifft auch zu – aber anders, als sie erwartet hat.

Das Eis-Schloss, 1963 erschienen, ist in Norwegen ein Klassiker. Es ist ein Text mit eigenem Rhythmus – sehr genau, ruhig, langsam und bedächtig und trotzdem, oder vielleicht ja gerade deshalb, mit einer ungeheuren Sogwirkung. Dringend zu empfehlen!
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Guggolz Verlag, 2019
Format
Gebunden
Seiten
199 Seiten
ISBN/EAN
978-3-945370-21-6
Preis
22,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Tarjei Vesaas (1897–1970) war der älteste Sohn eines Bauern in Vinje/Telemark, dessen Familie seit 300 Jahren im selben Haus lebte. Vesaas wusste früh, dass er Schriftsteller werden wollte, verweigerte die traditionsgemäße Hofübernahme und bereiste in den 20er und 30er Jahren Europa. 1934 heiratete er die Lyrikerin Halldis Moren und ließ sich bis zu seinem Tod 1970 in der Heimatgemeinde Vinje auf dem Hof Midtbø nieder. Vesaas verfasste Gedichte, Dramen, Kurzprosa und Romane, die ihm internationalen Ruhm einbrachten. Er schrieb seine Romane auf Nynorsk, der norwegischen Sprache, die – anders als Bokmål, das »Buchnorwegisch« – auf westnorwegischen Dialekten basiert. Abseits der Großstädte schuf Vesaas kontinuierlich ein dennoch hochmodernes, lyrisch-präzise verknapptes Werk mit rätselhaft-symbolistischen Zügen, für das er mehrmals für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde. Für »Das Eis-Schloss« erhielt er 1964 den Preis des Nordischen Rats, den wichtigsten Literaturpreis Skandinaviens.

Zum Buch:

Die elfjährige Siss lebt in einem kleinen Ort im Norden von Norwegen. In der Schule ist sie beliebt, und auf dem Pausenhof führt sie die Spiele der anderen an. Eines Tage kommt ein neues Mädchen in die Klasse: Unn. Sie sei Waise geworden, heißt es, und lebt nun bei ihrer Tante im Ort. Unn ist anders als die anderen, sie hält sich fern von den Spielen, steht in den Pausen allein an der Mauer des Schulhofs und verweigert den Kontakt. Aber sie hat etwas an sich, das die anderen davon abhält, sie deswegen zu hänseln. Man lässt sie in Ruhe, weil sie in ihrer Einsamkeit Stärke ausstrahlt. Siss ist neugierig auf Unn. Sie hofft, dass es irgendwann zu einer Annäherung kommen wird, und eines Tages ist es so weit: Unn bittet Siss, sie zu besuchen. So geht Siss den Weg zum Haus der Tante, gespannt auf die Begegnung und aufgeregt. Etwas Neues wird beginnen, das fühlt sie, etwas, das ihr Leben verändern wird.

Beide Mädchen verspüren eine starke Anziehung, und nach einer schüchternen Annäherung will Unn Siss etwas anvertrauen, über das sie noch nie gesprochen hat, verstummt dann aber wieder. Als sie dann sagt: „Ich weiß nicht, ob ich mal in den Himmel komme“, verabschiedet Siss sich überhastet und verstört und rennt nach Hause.

Am nächsten Morgen fühlt Unn, dass sie noch nicht bereit ist, Siss wiederzusehen. Statt den Weg zur Schule zu nehmen, geht sie übers Eis ans Ende des großen Sees, dorthin, wo ein Wasserfall durch den starken Frost zu einem riesigen Eis-Schloss erstarrt ist. Überwältigt von der bizarren Schönheit zwängt Unn sich durch einen Spalt in das Innere des Eises und läuft wie in einem Rausch immer tiefer in diese verzauberte, erstarrte Welt hinein.

Als Unn verschwunden und sämtliches Suchen nach ihr vergeblich bleibt, fällt Siss in tiefe Trauer. Sie gibt sich das Versprechen, Unn niemals zu vergessen, und beharrt in der Schule darauf, Unns Platz frei zu lassen. Jetzt ist sie es, die sich von allen anderen zurückzieht und auf dem Schulhof allein an der Mauer steht …

TarjeiVesaas hat ein großartiges Buch über das kindliche Innenleben zweier Mädchen geschrieben. Ein genaues, filigranes Porträt ihrer Unsicherheit, ihres Überschwangs, ihrer Trauer und Einsamkeit. Er beschreibt dies, ohne zu psychologisieren, was dem Leser Raum für eigene Interpretationen lässt. Aber man sollte sich hüten, den Reichtum des Buches durch heute übliche pathologisierende Begriffe zu verengen. Das hieße, die Vielschichtigkeit des Textes zu verkürzen und ihm seine wichtigste Dimension zu nehmen: Das offenbar Unaussprechliche ungesagt zu sein lassen.

Das Eis-Schloss, 1963 erschienen, ist in Norwegen ein Klassiker. Was es bis heute außergewöhnlich macht ist die absolute Gleichwertigkeit von Inhalt und Form des Textes. Tarjeis Sprache hat einen eigenen Rhythmus und einen glasklaren Ton – ruhig, langsam und akribisch, aber auch schneidend klar. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb hat das Buch eine ungeheure Sogwirkung und Spannung. Siri Hustvedt sagt in einem Interview in der Buchmessen-Beilage der ZEIT zu Das Eis-Schloss: „Wenn die norwegische Sprache exzellent eingesetzt wird, ist ihr Rhythmus traumgleich.“ Dem ist nichts hinzuzufügen, außer dass es dem Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel gelungen ist, diesen Rhythmus wunderbar ins Deutsche zu übertragen.

Ruth Roebke, Bochum