Zum Buch:
„Wir könnten auch anders sein“, das ist Rebecca Solnits Plädoyer, das sich durch ihre neue Essaysammlung Umwege zieht. Wir könnten anders sein, wenn wir uns als Gesellschaft von der Vorstellung lösen würden, die Zukunft würde so werden wie die Gegenwart. Wenn wir uns von der Gewissheit lösen würden, dass das Ende der Geschichte bereits bekannt ist, und begreifen, dass wir die Fortschreibung unserer Geschichte als Menschheit selbst in der Hand haben.
Für Solnit liegt der Schlüssel für diesen Wandel in einem anderen Verständnis des Zusammenhanges von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie bezeichnet die Erinnerung an die Vergangenheit als Kraft, um den sich langsam vollziehenden gesellschaftlichen Wandel, in dem wir dauerhaft stecken, erkennen zu können. Denn in der Vergangenheit schienen viele der sozialen und politischen Errungenschaften unserer Zeit noch schier undenkbar, auch wenn sich in der Retrospektive diese Entwicklungen scheinbar autonom von gesellschaftlicher Einwirkung und unausweichlich vollzogen haben. Erst durch die Erinnerung an diese gesellschaftlichen Veränderungen eröffnet sich für Solnit der Spielraum des Möglichen in der Zukunft. Denn auch in der Zukunft können sich diese unvorhergesehenen Räume für gesellschaftlichen Wandel öffnen, wenn wir uns nicht tatenlos unserem Schicksal überlassen.
In ihren Essays erinnert Solnit daran, dass unsere Beziehungen zueinander, zu unseren natürlichen Ressourcen und den von uns hergestellten Waren nicht schon immer so gewesen sind, wie sie heute zu sein scheinen, egal ob im guten oder im schlechten Sinne. Sie erinnert daran, dass Errungenschaften im Kampf um geschlechtliche Gleichberechtigung und geschlechtliche Vielfalt (das Recht auf Abtreibung, die Ehe für alle) in den letzten 50 bis 60 Jahren durch die Beharrlichkeit und Ausdauer der feministischen Kämpfe zustande gekommen sind. In weiteren Essays begegnet Solnit der quälenden Ungewissheit der zukünftigen Auswirkungen des Klimawandels, indem sie daran erinnert, dass dieser Ausgang der Geschichte durch unser kollektives Handeln beeinflussbar bleibt. Beispielhaft thematisiert sie den Anstieg beim Ausbau der erneuerbaren Energien in den letzten 20 Jahren, durch die der Abbau fossiler Energieträger zurückgedrängt wurde (auch wenn es sich momentan nicht so anfühlt). Dabei bringt sie immer wieder den Punkt ein, dass die Niederlage auf einer Etappe des Kampfes nicht bedeutet, alles verloren geben zu müssen. Denn auch aus diesen Niederlagen entstehen unvorhergesehene Möglichkeiten für andere, den Kampf an anderer Stelle fortzuführen.
Solnits Essays sind deshalb so lesenswert, weil sie darauf beharren, dass das Gute in der Welt weiterhin erkämpft und erstritten wird. Und dass dieser Kampf nicht bereits morgen vorbei sein wird, sondern die langfristige Veränderung aller benötigt, und seine KämpferInnen deshalb nicht auf die kurzfristigen und einfachen Lösungen von Rechts (-extremen) hereinfallen dürfen. Die Essaysammlung macht deutlich, dass wir uns am Fortgang der Geschichte und des Wandels beteiligen müssen. In Zeiten der Desillusionierung geht es Solnit auch darum, ihre LeserInnen Hoffnung schöpfen zu lassen, und aufzuzeigen, dass ein anderer kollektiver Umgang mit der Unsicherheit der Zukunft uns neue Gestaltungsräume eröffnen wird. Schließlich sind die Essays ein „Aufruf zum Weitermachen“.
Melissa Dutz, Frankfurt a. M.