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Neptunation

Autor
Dath, Dietmar

Neptunation

Untertitel
Oder Naturgesetze, Alter! Roman
Beschreibung

Der Plot ist kompakt, lässt sich gut verarbeiten, passt in jeden Schädel. Der an Space-Odysseen gewöhnte Science-Fiction-Fan ist sofort daheim, die Struktur ist bekannt. Allein die Machart, mehr, das Füllsel, das Dietmar Dath zwischen den Handlungsfäden aufhäuft, ist dazu angetan, Horizonte und Hirne zu sprengen.

Eine geheimnisvolle, stramm kommunistische Powerfrau ist drauf und dran, ein Team für eine Weltraummission zusammenzustellen. Ausgesucht werden freilich nur die geistig Exzellenten, ein bunter Haufen freakiger Naturwissenschaftler, ein brillanter Linguist mit einer mit der Mission besonders verknoteten Familiengeschichte und ein rüstiger Haudrauf von der Bundeswehr – ohne martialisches Schlappmaul mit Erfahrung im Kampf gegen außerirdische Scherenroboter läuft schließlich kein Raumschiff vom Stapel.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
FISCHER Tor, 2019
Seiten
688
Format
Kartoniert
ISBN/EAN
978-3-596-70223-7
Preis
20,00 EUR
Status
aktueller Lieferbarkeitsstatus nicht bekannt, bitte beim Verlag erfragen

Zur Autorin / Zum Autor:

Dietmar Dath, geboren 1970, ist Schriftsteller, Übersetzer, Musiker und Publizist. Sein Roman »Die Abschaffung der Arten« stand 2008 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis und wurde 2009 mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet, desgleichen 2013 sein Roman »Pulsarnacht«. 2015 erschien bei FISCHER Tor eine erweiterte Neuausgabe des Romans »Venus siegt«.

Zum Buch:

„That was some deep shit.“

Zuerst: Der Plot ist kompakt, lässt sich gut verarbeiten, passt in jeden Schädel. Der an Space-Odysseen gewöhnte Science-Fiction-Fan ist sofort daheim, die Struktur ist bekannt. Allein die Machart, mehr, das Füllsel, das Dietmar Dath zwischen den Handlungsfäden aufhäuft, ist dazu angetan, Horizonte und Hirne zu sprengen.

Der Reihe nach: Eine geheimnisvolle, stramm kommunistische Powerfrau ist drauf und dran, ein Team für eine Weltraummission zusammenzustellen. Ausgesucht werden freilich nur die geistig Exzellenten, ein bunter Haufen freakiger Naturwissenschaftler, ein brillanter Linguist mit einer mit der Mission besonders verknoteten Familiengeschichte und ein rüstiger Haudrauf von der Bundeswehr – ohne martialisches Schlappmaul mit Erfahrung im Kampf gegen außerirdische Scherenroboter läuft schließlich kein Raumschiff vom Stapel.

Die Mission nun, zu der diese extrem amüsante und vor allem zu geistigen und intellektuellen Höhenflügen neigende Schicksalsgemeinschaft zusammengewürfelt wurde, lässt sich wie folgt beschreiben: Kurz vor dem endgültigen Zerfall des Ostblocks hat man sämtliches Restgeld zusammengekratzt, um eine letzte, bombastische Raummission zu starten. Ziel des kommunistischen Himmelfahrtskommandos war der äußerste bekannte Planet unseres Sonnensystems, Neptun. Zwei Raumschiffe wurden entsandt, die sich im All zu einem vereinigen sollten, was tatsächlich nie passierte. Eines der Schiffe strandete nämlich in einem Asteroidengürtel, wo sich im Verlauf der Jahre eine technisch hochstehende Zivilisation – die Dysoniki – entwickelte, kommunistisch selbstredend, die bis heute mit ausgewählten Genossen auf der Erde Kontakt hält. Das andere Schiff setzte seine Reise zum Neptun fort und ward fürderhin nicht mehr gesehen. Hörensagen, ein bisschen Legende und ein kryptisches Schreiben ist alles, was von der Fähre geblieben ist.

Und um ebendieses irgendwo im, am, um den Neptun verlorene Raumschiff geht es: die Truppe soll den Verbleib und das Schicksal der Verschwundenen klären.

Dabei ist klar, dass die ominöse Powerfrau, nicht nur den deutschen und den chinesischen Staat ins Boot geholt hat, sondern eben auch scheinbar ganz eigene Interessen verfolgt, was spätestens mit dem Beschuss einer der beiden neuen Raumfähren für gewaltige Unsicherheit unter der Besatzung sorgt und schlussendlich zu Mord und Totschlag im endlosen Nichts des Weltraums führt.

Was für ein gigantisches Spektakel! Während Dietmar Dath sein illustres Personal vorstellt – inklusive biographisch notwendiger Zeitsprünge von 1970 bis 2017 –, einen extraterrestrischen Mordanschlag in heißer Actionfilmmanier abfährt, die Raummission und die Geschichte überhaupt voran peitscht, passiert etwas, das den Leser immer wieder aus dem so nett gespannten Bogen der Story kegelt: Sein kognitiv hochgerüstetes Personal unterhält sich nämlich – aber wie! Munter wird da über Musik geplaudert – die Science-Fiction-Oper „Aniara“ von 1959 erfährt da besondere Weihen –, die Linguistik wird fach- und sachkundig beackert und selbstverständlich immer wieder die Mathematik, die Physik und natürlich die Philosophie. Eine der wundervollsten Szenen ist ein Gartendisput zwischen dem chinesischen Kapitän und einem russischen Wissenschaftler über nichts weniger als die Wahrheit: Ist sie nun verfügtes Ewiges, dem sich der Mensch annähert, oder etwas Neblig-Verblasenes, das sich immer auch verändert. Ausgebremst wird der eilige Leser damit, aber auch reich belohnt, denn diese feine Szene, die im Stile eines antiken Dialogs daherkommt, in dem zwei gleichberechtigte Sprecher von unterschiedlichen Standpunkten aus über eine Sache sprechen und beiden bewusst ist, dass es keine definitive Antwort geben wird, ist eines der vielen Filetstückchen des Buches, das so herrlich die Debatten unserer Zeit aufgreift und im Weltall – dem Ort mit dem Überblick, wie eine Figur so treffend feststellt – verhandelt.

Kapital kann man aus dieser Lektüre schlagen, und zwar reichlich. Zugegebenermaßen, die Synapsen glühen, die durchschnittliche naturwissenschaftlich-mathematische Bildung wird bis über die Belastungsgrenze hinaus strapaziert, weil immer wieder noch eine Erläuterung über Wahrscheinlichkeiten, über die Kolmogorow-Komplexität usw. durchexerziert wird. Aber das Ganze ist dann doch eine grandiose Hochleistung des Genres: Wissenschaftliche Fakten werden neu arrangiert, kombiniert, zusammengeschnitten und um eine Gourmetprise Fiction erweitert, sodass einerseits eine phantastische, fast schon „verlässliche“ Story dabei herausspringt, andererseits ein Funke der Begeisterung überspringt, mit der Dath da ans Werk geht. Man möchte weiterdenken, was da geschrieben steht, und hat die süße Gewissheit, dass man kaum jemals heiterer auf seine Wissenslücken hingewiesen wurde!

Johannes Fischer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt