Zum Buch:
9. November 2020. Corona-Zeit, Lockdown. Kurt Siebenstädter, Anfang 50, Moderator einer bundesweit ausgestrahlten Morgensendung im Radio, bekannt für seine gnadenlosen Interviewfragen, seinen Zynismus, seine Ironie, hat in seinem Berufsleben im Berliner Politikbetrieb alles gesehen, alles gehört, alles erlebt, glaubt an nichts und zweifelt an allem, und jetzt, auf dem Rückweg vom Hauptstadtstudio an der Spree zu Frau und 13jähriger Tochter im Prenzlauer Berg, von denen er hofft, dass sie nicht zu Hause sind und ihm so einen Abend schenken, den er ganz für sich allein hat, zweifelt er vor allem an seiner beruflichen Zukunft und an sich selbst. Denn die, „die ihn früher wegen seiner Schärfe gefeiert hatten, waren immer häufiger gegen ihn, stattdessen bekam er“, der ehemalige Anarchist, der er im Herzen doch stets geblieben war, „Applaus von Reaktionären und Vorgestrigen, die ihn früher gehasst hatten.“ Schon vor fünf Jahren hatte einer der Großkolumnisten „mit symphonischem Wortgeklingel das Ende des ironischen Zeitalters“ verkündet, und in der Zwischenzeit hatte sich in Siebenstädters Augen „ein obskurer Neomoralismus“ ausgebreitet, „nicht weniger bigott als die sauer-pietistische Verklemmtheit der Nachkriegsjahre“.
Zwei Tage lang lässt uns Christoph Peters diesen „alten weißen Mann“ bis zum absehbaren (tragischen?) Ende durch das politische Berlin begleiten, vom Willy-Brandt-Haus bis in die FDP-Parteizentrale, durch die Abgeordnetenbüros mit ihren hellerleuchteten gläsernen Fassaden, die unter dem architektonischen Siegel der (politischen) Transparenz noch das Privateste den Blicken einer wohlwollenden und weniger wohlwollenden Öffentlichkeit preisgeben, durch Studios und Chefetagen und durch eine Stadt, deren Bewohner ganz andere Probleme haben. Das ist deprimierend und schrill komisch zugleich, ist so scharf beobachtet, wirft ein so grelles Licht auf den Zustand des politischen Berlins und seiner Protagonisten – die trotz des Disclaimers, der dem Roman vorangestellt ist, durchaus erkennbar sind –, dass ich das Buch, hin und hergerissen zwischen Lachtränen und Betroffenheit, in einem Zug durchgelesen habe, um es dann wieder von vorne anzufangen.
In Der Sandkasten packt Christoph Peters sein ganzes literarisches Können aus und schließt mit großer Meisterschaft an seinen ausdrücklich erwähnten literarischen Vorgänger an: Das Treibhaus, Wolfgang Koeppens 1954 erschienenen Roman über die junge Bonner Republik (den man bei dieser Gelegenheit gern noch mal zur Hand nehmen sollte). Ein gelungener, großer Entwurf – Chapeau!
Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.