Detail

Drucken

Hast du uns endlich gefunden

Autor
Selge, Edgar

Hast du uns endlich gefunden

Beschreibung

Am Anfang steht ein häusliches Kammerkonzert, ein großes Ereignis im Leben der Familie des Gefängnisdirektors und ein großes Ereignis im Leben der Gefängnisinsassen, die dabei sein dürfen, wobei fraglich ist, ob die Gefangenen Kammermusik genauso lieben wie ihr Direktor. Mit diesem Paukenschlag sind wir mitten drin in der Familie des Protagonisten und in seinem Leben zwischen Gefängnis und Kammermusik, einem Leben mit einem so empfindsamen wie brutalen Vater, einer frustrierten Mutter und drei mehr oder weniger aufmüpfigen Brüder.

Edgar Selges mehr oder weniger autobiographischer Roman sprengt in seiner schockierenden Authentizität die gegenwärtig häufiger werden Versuche, die Nachkriegszeit zu romantisieren, so gründlich, dass es einem den Atem verschlägt.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Rowohlt Verlag
Seiten
301
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-498-00122-3
Preis
24,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Edgar Selge gehört zu den bedeutendsten Charakterdarstellern Deutschlands. 1948 geboren, wuchs er im ostwestfälischen Herford als Sohn eines Gefängnisdirektors auf. Seine Schauspielausbildung schloss er 1975 an der Otto Falckenberg Schule in München ab. Zuvor studierte er Philosophie und Germanistik in München und Dublin sowie klassisches Klavier in Wien. Für seine Arbeit wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Edgar Selge lebt mit der Schauspielerin Franziska Walser zusammen. Die beiden haben zwei Kinder. «Hast du uns endlich gefunden» ist sein literarisches Debüt.

Zum Buch:

Am Anfang steht ein häusliches Kammerkonzert, ein großes Ereignis im Leben der Familie des Gefängnisdirektors und ein großes Ereignis im Leben der Gefängnisinsassen, die dabei sein dürfen. Ob die Gefangenen Kammermusik genauso lieben wie ihr Direktor, ist fraglich, nicht aber ihre Begeisterung angesichts all der Möbel und sonstigen Einrichtungsgegenstände, die sämtlich „ihre“, das heißt von ihnen angefertigt worden sind …

Mit diesem Paukenschlag sind wir mitten drin in der Familie des Protagonisten und in seinem Leben zwischen Gefängnis und Kammermusik, einem Leben mit einem so empfindsamen wie brutalen Vater, einer frustrierten Mutter und drei mehr oder weniger aufmüpfigen Brüdern. Mitten drin auch in den Szenen, die aus der Perspektive des 12jährigen erzählt und von seinem erwachsenen Ich subtil kommentiert werden, Szenen, die fast nicht auszuhaltende Brutalität genauso enthalten wie eine fast ebenso unerträgliche Erfahrung von Schönheit. Selge macht die graue Trübnis der fünfziger und frühen sechziger Jahre lebendig, die Folgen des Krieges und der unausgesprochenen Verstrickungen in den Nationalsozialismus, beschreibt die Versuche des Kindes, sich der kaum verstandenen Welt der Erwachsenen durch heimliche Kinobesuche zu entziehen. Der Junge träumt sich in eine Welt, in der er als fantasierter Held alle Schwierigkeiten überwindet und der am eigenen Leibe erlebten Gewalt fiktive Metzeleien an Angehörigen und „Feinden“ entgegensetzt. Dass ihm die kleinen Diebereien, mit denen er sich das Geld für den Kinobesuch zusammenklaut, wieder neue Prügel einbringen, ist ihm die Sache wert.

Edgar Selges mehr oder weniger autobiographischer Roman sprengt in seiner schockierenden Authentizität die gegenwärtig häufiger werden Versuche, die Nachkriegszeit zu romantisieren, so gründlich, dass es einem den Atem verschlägt. Das gelingt ihm vor allem durch eine nur scheinbar einfache, in Wirklichkeit hoch kunstvolle Sprache und die beeindruckende Montage. Wer die Zeit als Kind miterlebt hat, wird vieles wiedererkennen und gelegentlich von eigenen Erinnerungen überschwemmt werden. Allen anderen dürfte es zeigen, dass solche Erfahrungen keineswegs in ferner Vergangenheit liegen, sondern in verschiedenen Formen bis heute fortwirken. In jedem Fall sei die Lektüre dringend empfohlen!

Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.