Zum Buch:
Es ist Krieg in dieser wunderschönen Stadt irgendwo in Osteuropa, die zwischen den Rebellen, die sie von den Bergen, und den Truppen der korrupten Regierung, die sie vom Meer aus beschießen, in der Falle sitzt, auch wenn der Krieg nicht als Krieg, sondern als “erweiterte Polizeiaktion” bezeichnet wird. Der arbeitslose Flugzeugingenieur Paul Sarianidis versucht, seiner halbwüchsigen Tochter Lena die Angst vor den Granaten zu nehmen, mit mäßigem Erfolg. Seine Frau arbeitet in Nachtschicht als Ärztin im Krankenhaus, noch ein Grund, sich Sorgen zu machen. Aber von einem Moment zum andern ändert sich die Situation: Schon am nächsten Morgen heißt es überraschend: „Es ist Frieden“ – anscheinend haben die Rebellen die Stadt erobert. Die Erleichterung weicht schon bald neuem Schrecken, wird Paul doch unerwartet und zum Entsetzen von Frau, Mutter und Tochter von Kämpfern abgeholt und zum Separatistenführer Doktor Boris Lupowitsch gebracht…
Der Grund für die Verhaftung liegt in der noch nicht lange zurückliegenden Phase, in der sich Paul, der freundliche Mann und liebevolle Familienvater, in diversen Chaträume des Internet herumgetrieben hat, zunächst, um die Argumente anderer zu entkräften, dann aber zunehmend aggressiver einem Hass freien Lauf lässt, den er bis jetzt von sich (und anderen) nicht kannte. In einem seiner maßlosen Hassausbrüche hat er ausgerechnet Lupowitsch aufs übelste beschimpft und bedroht. Die Rache des Separatistenführers bedient sich derselben Logik: Der verängstigte Paul wird vor der virtuellen Öffentlichkeit bedroht und gedemütigt, bis er sich vor laufender Kamera buchstäblich in die Hose macht. Das Video ist online, man erkennt ihn auf der Straße, der aufgebrachte Mob wirft ihn unter brüllendem Gelächter in einen Müllcontainer – Schande auf allen Ebenen.
Der verzweifelte Paul geht in sich, denkt über seine Rolle in diesen Hassspielen nach und beschließt, in Zukunft das Richtige zu tun, sollte es ihn auch das Leben kosten. Aber sein Einsatz für das alte jüdische Ehepaar Katz, das in seinem Haus wohnt und eines Abends „abgeholt“ wird, hat zwar scheinbar das gewünschte Ergebnis, bringt ihn selbst aber nur in neue Schwierigkeiten. Es gibt eben Situationen, in denen das Richtige einfach nicht richtig sein kann …
Vladimir Vertlib hat mit Zebra im Krieg einen bitterbösen, sarkastischen Roman geschrieben, mit dem Schwerpunkt auf dem Verhalten „normaler“, eher sympathischer, eher unpolitischer Menschen (nicht nur) in Krisensituationen, die, ob sie wollen oder nicht, immer Opfer und Täter gleichermaßen sind. Die grotesken, teilweise ins Surreale kippenden Szenen und die überbordende Ironie hätten mir vor vier Wochen bei allem Schrecken noch die Lachtränen in die Augen getrieben, aber heute macht sich bei mir eher Schockstarre breit. Ein sehr lohnendes Lehrstück, das zeigt, wie sehr sich auch Literatur und ihre Lektüre durch den Kontext des Krieges verändern können.
Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.