Zum Buch:
Dieser Roman beginnt mit einem Pakt, den die Hauptfigur, mit sich selbst schließt: Dort, wo das Halsband, das auf seinem Armaturenbrett liegt, herunterfällt, wird Claasen ein neues Leben anfangen. Drei Versuche räumt er sich ein, um nicht auf freier Flur wohnen zu müssen. Was wie die Sinnsuche eines Mannes in der Midlife Crisis beginnt, führt zunächst zu dem ebenso charmanten wie abstrus überzeichneten Bild eines ostdeutschen Dorfs, dessen Lebensmittelpunkt der am Baggersee gelegene Getränkemarkt ist. Doch dann überträgt sich Claasens neurotisch-verschrobene Art unmittelbar auf das Erzählen des Romans selbst: ganze Absätze wiederholen sich immer wieder, formelhafte Anleihen aus Märchen und Liedern werden wie Mosaikstücke eingesetzt, die provinzielle Realität öffnet sich ins Phantastische. Zunächst frei assoziativ, in der ständigen Wiederholung aber dann durchaus handfest, gewinnt der Getränkemarkt Ähnlichkeit mit einer Oase auf Sansibar. Wenn auch maßgeblich mittels einer Sonnenbank der Prestige-Serie von Ergoline: „Wie hier UV-Licht und rotes Beauty Light per Knopfdruck zur Wunschbräune führen, bringt einen schier um den Verstand.“ Die Angebotsszenerie des Getränkemarkts knüpft sowohl an das Exotik-Versprechen als kapitalistische Vermarktung als auch an Symboliken des Kolonialismus an, enthält aber zugleich eine Unschuld des Konsums als Bedürfnis und Traum.
Wie jede Dorfgemeinschaft, definiert sich auch diese über gemeinsame Volksfeste und Rituale, doch sind sie nicht mehr religiöser oder staatlicher Natur: Die BewohnerInnen von Zandschow gründen ihren Zusammenhalt auf imaginierte Bahnfahrten und Imitation von Plastikschwänen. Was in dieser Kürze sicher unverständlich ist, entfaltet Thomas Kunst mit großer Zuneigung zum Spektakelhaften, dessen Abstrusität mit der aufrichtigen Freude und dem unbestreitbaren Unterhaltungswert für die Figuren im Roman wie für die LeserIn Hand in Hand geht.
Zandschower Klinken ist ein Text, der jegliche Verpflichtung ans stringente Erzählen aufkündigt, jedoch nicht ohne dabei immer wieder Bilder und Szenen zu entwerfen, die in sich so sprechend sind, dass man doch den Eindruck gewinnen kann, man hätte so etwas wie einen Roman gelesen. Thomas Kunst führt vor, wie experimentellere Literatur aussehen kann, die sich nicht als Gegenstück zur Oberflächlichkeit und Unterhaltung begreift, sondern als deren Verdichtung. In diesem Sinne ist der Roman, der in diesem Jahr auch auf der Short List des Deutschen Buchpreises stand, ebenso leichte und vor allem witzige Zerstreuung wie neurotische Poesie.
Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt