Zur Autorin/Zum Autor:
Hanne Kulessa lebt als freie Autorin und Moderatorin (hr2kultur) in Frankfurt am Main.
Der Grabstein war umgefallen. Über dem Sterbedatum klebte ein gelber Zettel, und auf dem gelben Zettel stand: ‘Umfallgefahr!’ Ich musste über die Friedhofsverwaltung lachen. Was hieß ‘Umfallgefahr’? Der Stein war umgefallen. Doch dann las ich: ‘Unfallgefahr!’ Das schien mir noch absurder als ‘Umfallgefahr!’ Gibt es einen größeren Unfall als den Tod? Ich lachte auch ein bisschen darüber, dass es ausgerechnet der Grabstein meiner Mutter war, der umgefallen war. …
Der umgefallene Grabstein setzt eine Reihe merkwürdiger Ereignisse in Gang. Da ist zunächst der merkwürdige Fremde im Trenchcoat, den Paula am Grab der Mutter trifft. Der Pfefferminzvertreter, wie sie ihn nennt, ist immer da, wenn Paula kommt, und er hört den Geschichten zu, die sie ihm erzählt. Das Netz aus Lebens-Geschichten, das Paula für den Unbekannten webt, legt sich langsam über ihren gesamten Alltag, spinnt sie immer mehr ein. Dass sie gerade einen englischen Schauerroman über Spinnen übersetzt, verstärkt den Eindruck, in einer Welt gefangen zu sein, deren Fremdheit zunehmend vertrauter wird als die angeblich so reale Wirklichkeit. Für Paula wird der Friedhof, der Ort vergangener Leben, zur Möglichkeit, das eigene Leben und die eigene Geschichte vor dem Hintergrund der Vergänglichkeit neu zu erfinden, kurz: das Leben als narratives Spiel zu begreifen. Der große schwarze Akt ist ein wunderbar skurriler, streckenweise sehr komischer, vor allem aber kluger Roman, der geradezu lustvoll alle gängigen Vorstellungen von Trauer, Erinnerung und Biographie auf den Kopf stellt.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main