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Autor
Penny, Laurie

Unsagbare Dinge

Untertitel
Sex, Lügen und Revolution. Aus dem Englischen von Anne Emmert
Beschreibung

Laurie Penny beschäftigt sich in ihrem neuen Buch Unsagbare Dinge – Sex, Lügen und Revolution damit, was es bedeutet eine Frau in der heutigen Gesellschaft zu sein. Ohne den Anspruch zu verfolgen, eine homogene und handhabbare Leitlektüre für zeitgenössischen Feminismus zu entwickeln, gelingt es ihr, den verschiedensten, alltäglichsten und geheimsten Erfahrungen von Frauen heute eine Stimme zu verleihen. Laurie Pennys Buch führt uns vor Augen, dass der Feminismus noch lange nicht an seinem Ziel angekommen ist; das noch viel geschehen muss, bevor keine Minderheit mehr unter der strukturellen Gewalt des Sexismus zu leiden hat.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Edition Nautilus, 2015
Format
Kartoniert
Seiten
288 Seiten
ISBN/EAN
978-3-89401-817-7
Preis
16,90 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Laurie Penny ist die wichtigste Stimme des jungen Feminismus in Großbritannien und Deutschland. 1986 in London geboren, lebt sie derzeit in England und den USA. Sie hat Englische Literaturwissenschaft in Oxford studiert, ihr Blog »Penny Red« wurde 2010 für den George Orwell Award für politisches Schreiben nominiert. Sie schreibt regelmäßig für den New Statesman und für New Inquiry sowie auf Twitter, wo sie inzwischen über 100 000 Follower hat. Zuletzt erschien bei Nautilus Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus (2012).

Zum Buch:

Laurie Penny beschäftigt sich in ihrem neuen Buch Unsagbare Dinge – Sex, Lügen und Revolution damit, was es bedeutet, eine Frau in der heutigen Gesellschaft zu sein. Ohne den Anspruch zu verfolgen, eine homogene und handhabbare Leitlektüre für zeitgenössischen Feminismus zu entwickeln, gelingt es ihr, den verschiedensten, alltäglichsten und geheimsten Erfahrungen von Frauen heute eine Stimme zu verleihen. In einer Gesellschaft, die von sich selbst behauptet aufgeklärt und fair mit Geschlechtern umzugehen, braucht es Stimmen wie Laurie Penny, die die alltäglichen Herabsetzung von Weiblichkeit formulieren, um sie sichtbar werden zu lassen und zum Widerstand dagegen aufzurufen. Thematisch bearbeitet sie dabei ein weites Feld, denn Sexismus begegnet uns in der Gesellschaft in vielerlei Formen. Mit ständiger Rekurrenz auf eigene, prägende Erfahrungen und mit Zeugnissen aus Gesprächen mit verschiedensten Frauen berichtet Laurie Penny nicht nur von jugendlicher Magersucht, dem Umgang mit Sexarbeiterinnen und dem ständigen Druck der Schönheitsindustrie, sondern auch davon, wie beruflich ehrgeizige und erfolgreiche Frauen diskriminiert und angegriffen werden. Dabei geht es ihr nicht nur um die Darstellung von Einzelfällen. Sexistische Diskriminierung folgt einer bestimmten Struktur, der Penny hier, wie auch schon in ihrem ersten Buch Fleischmarkt, nachgeht.

Demnach wird jungen Frauen und Mädchen als wichtigstes Ziel eingebläut, zu gefallen. Das erfordert auf der einen Seite, den eigenen Körper ständig im Zaum zu halten und dem Druck einem absurden Schönheitsideal zu entsprechen – Penny beschreibt an einer Stelle auf eindrückliche Weise, dass die Mädchen, die als klassisch schön begriffen werden, darunter nicht weniger zu leiden haben, als die anderen. Auf der anderen Seite vermittelt es aber auch die Haltung, eigene Ziele, Wünsche und Bedürfnisse gegenüber anderen – denen des Freundes, des Ehemannes oder der Kinder – zurückzustellen. Pennys Theorie, die an vielen Stellen sehr polemisch klingen mag, findet ihre bittere Bestätigung in Erfahrungen, wie sie alle Frauen schon gemacht haben.

Eigentlich berichtet ihr Buch nichts, was wir nicht schon längst wüssten. Dass Frauen wegen ihres Geschlechts benachteiligt, herabgesetzt und angefeindet werden, gehört zu unserem Alltag. Dass beispielsweise Opfern von Vergewaltigungen in den meisten Fällen aufgrund ihres Verhaltens oder ihrer Kleidung eine Mitschuld an dem Verbrechen gegeben wird, ist eine gängige Argumentation. Dieser Fall steht exemplarisch für die strukturelle Ungerechtigkeit, mit der Frauen zu kämpfen haben. Frauen werden dazu angehalten, sich bedeckt zu halten, sich einzuschränken und zu verstecken. Im Namen der Sicherheit wird die Freiheit der Frauen eingeschränkt, ohne dass dabei die eigentlich Schuldigen, die männliche Bedrohung überhaupt zur Sprache kommen. Der Feminismus, den Penny vorstellt, ist keine männerhassende, hysterische Abrechnung – als die der Feminismus grundsätzlich nur zu gerne von der maßgeblichen Öffentlichkeit dargestellt wird. Aber, und das ist der entscheidende Punkt, er verschweigt auch nicht, dass Sexismus und Genderdiskriminierung als gesellschaftliches Phänomen alle angeht und sich keine Frau und kein Mann davon ausnehmen kann. Die nötige Beschäftigung mit Frauenfeindlichkeit wird schmerzhaft sein, denn es ist immer auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Frauenfeindlichkeit, die man sich nicht eingesteht. Laurie Penny möcht aber die Aussage, dass alle, nicht nur manche Männer in „eine Kultur des Sexismus eingebunden sind“, nicht als Anklage, sondern als Aufforderung verstanden wissen. Als Aufforderung, sich den Sexismus bewusst zu machen und sich ihm aktiv zu widersetzen. Das schließt die Solidarisierung mit den Gruppen ein, deren sexuelle Orientierung ebenfalls von der Gesellschaft diskriminiert und unterdrückt wird: Homosexuelle, Transsexuelle, Transgender, Bisexuelle, Queers.

Laurie Pennys Buch führt uns vor Augen, dass der Feminismus noch lange nicht an seinem Ziel angekommen ist, dass noch viel geschehen muss, bevor keine Minderheit mehr unter der strukturellen Gewalt des Sexismus zu leiden hat. Gleichzeitig formuliert sie die enthusiastische Hoffnung, durch die Möglichkeit, Sprach- und Diskussionsräume abseits der Main-Stream-Kultur zu schaffen und sich über alltägliche Erfahrungen auszutauschen, auch neue Handlungsräume entstehen lässt. Das ist die Revolution, deren Anfänge Laurie Penny sieht. Und ihr Buch leistet seinen Beitrag dazu: indem es Erfahrungen, mit denen viele Frauen sich allein glauben, Unterstützung und eine Öffentlichkeit gibt. Es gilt der Aufruf, den Versuch zu wagen, unsagbare Dinge mitzuteilen und sich darüber auszutauschen. Denn ein intensiver und tatkräftiger Austausch kann auch eine Veränderung bewirken. Am Ende schreibt Laurie Penny: „Ich bin überzeugt, dass eines Tages zu viele Menschen ihre Geschichten vortragen, als dass man sie noch zum Schweigen bringen könnte. Das große Umschreiben hat schon begonnen.“

Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt