Zum Buch:
Bis Rasa Taymour begegnete war er sich sicher, dass er sich niemals irgendwo zugehörig fühlen würde. Zuhause kann er das Geheimnis seiner Homosexualität nur mit dem Badezimmerspiegel teilen, und in seinem Auslandsjahr im verheißungsvollen Amerika bleibt er für alle „der Araber“. Und seine Begeisterung für das Land schlägt in einfachen Anti-Amerikanismus um. Wieder zurück in seinem Land, das nicht näher bezeichnet wird, verschlimmert sich die politische Lage. Die aufkeimende Revolution wurde zerschlagen, der Machthaber ist mächtiger denn je, und die einzigen, die den Kampf gegen ihn weiterführen, sind religiöse Fundamentalisten. Aus Rasas Perspektive erhalten wir einen Einblick in eine Gesellschaft, die nur aus schlechten Alternativen zu bestehen scheint. Haddads Roman erzählt einen Tag im Leben seines Protagonisten – und doch sein ganzes bisherige Leben. Es ist der Tag, der alles verändern wird. Nachdem seine Großmutter seine Beziehung zu Taymour entdeckt hat, irrt er panisch durch die Straßen seiner Stadt, klaubt die Trümmer seiner Erinnerung und seiner Gegenwart zusammen und sucht verzweifelt nach einem Ausweg.
Haddads Roman ist sehr gut komponiert und intensiv erzählt. Haddad wählt Rasa selbst als Erzählinstanz, sein Stil ist ruhelos, teils poetisch, teils nüchtern. Der Protagonist möchte – und in dieser Hinsicht könnte man auch von einem Coming-of-Age-Roman sprechen – endlich herausfinden, wo er steht und zu wem er sich azugehörig fühlen kann. Haddad scheut sich nicht davor, diese Suche oft als plan- und orientierungslos darzustellen, und gerade das macht seinen Roman so glaubhaft und intensiv. Die Entscheidung, Rasas Heimatland und damit die politische Situation vor Ort aus einer Mischung der jüngsten Geschichte verschiedener arabischer Staaten zusammenzumischen, trägt nicht dazu bei, Rasas Orientierungslosigkeit zu verorten; was man sowohl als Schwäche als auch als Stärke des Romans sehen könnte, denn so wird spürbar, das einfache Antworten und Lösungen hier nicht zu finden sind. Während die Vorschriften und Regeln im Privaten immer umfassender zu werden scheinen, geraten die politischen Verhältnisse immer mehr außer Kontrolle, wird die Gewalt und die Repression gegen Arme und Andersdenkende härter. Und je größer die Missstände im Land werden, desto höher wird der Druck, die Fassade aufrecht zu erhalten, bloß nicht aufzufallen und sich in die Regeln zu fügen. Sprechen, das Sprechverbot und die Auflehnung dagegen ist eines der großen Themen dieses Romans.
Trotz seiner Härte und Schnelligkeit verhandelt dieser Roman doch ausgesprochen feinfühlig und emotional politische Wirklichkeit. Das Gefühl, selbst etwas verändern zu wollen, die Erfahrung, gescheitert zu sein, und die Angst, vielleicht sogar die Gewissheit, wieder zu scheitern, findet sich bei Rasa auf politischer wie privater Ebene, und die Grenzen vermischen sich zusehends
Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt