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Autor
Schütz, Helga

Die Kirschendiebin

Untertitel
Eine Erzählung
Beschreibung

Thomas Falkenhain ist in dem Alter, in dem man aufräumt und sich erinnert, selbst wenn man sich nicht erinnern will. Zum Beispiel an eine heimliche Studentenliebe in den 60ern, die abrupt endete, als Mela, seine »Kirschendiebin«, mit Mann und Sohn in den Westen fliehen musste. Erst aus den Stasi-Akten weiß er, dass sie ihm später Briefe geschrieben hat. Als er unerwartet ein Stipendium für eine römische Künstlervilla erhält, ertappt er kurz nach seiner Ankunft eine Frau im Park, die eine Orange pflückt, schält und sogleich herzhaft hineinbeißt: Ist es Mela, seine Kirschendiebin von einst?
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Aufbau Verlag, 2017
Format
Gebunden
Seiten
170 Seiten
ISBN/EAN
9783351036751
Preis
18,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Helga Schütz wurde 1937 in Falkenhain/Schlesien geboren. 1944 übersiedelte sie nach Dresden. Sie erlernte den Beruf der Gärtnerin, anschließend studierte sie an der Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg und schloß als Diplom-Dramaturgin ab. Sie schrieb Drehbücher und Szenarien für Spiel- und Dokumentarfilme. Seit 1962 ist sie freie Autorin, 1993 erhielt sie eine Professur für Drehbuchschreiben an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam. Unter anderem gewann sie den Stadtschreiber-Literaturpreis des ZDF und der Stadt Mainz und den Brandenburgischen Literaturpreis. Helga Schütz lebt in Potsdam. Zuletzt erschienen die Romane Grenze zum gestrigen Tag (2000), Knietief im Paradies (2005) und Sepia (2012).

Zum Buch:

Leni und Thomas leben eine unkonventionelle, offene Beziehung in getrennten Wohnungen. Der persönliche Freiraum ist für die beiden Individualisten gerade im Alter zu einer Notwendigkeit geworden. Via Mobiltelefon sind sie in ständigem Kontakt. Täglich besucht Leni den älteren, zur Vergesslichkeit neigenden Thomas, hilft ihm in Alltagsdingen, umsorgt ihn. Ihre Zweisamkeit kommt dabei nicht zu kurz. Beide sind im Osten Deutschlands aufgewachsen und bis heute am gleichen Ort geblieben. Sie haben viel erlebt, den Krieg, den Neuanfang, den Mauerbau und schließlich die Wiedervereinigung. Zahlreiche gemeinsame Erlebnisse, Erinnerungen verbinden die beiden, sind Grundlage ihrer Vertrautheit und Zuneigung. So könnte das Leben ruhig weitergehen, wären da nicht Thomas emotionale Altlasten.

Gedanken an Mela, seine große Liebe aus Studententagen, kommen immer wieder an die Oberfläche. Verstärkt, als er den Keller aufräumt und sich die gesammelten Erinnerungsstücke nach vielen Jahren endlich wieder ansieht. Beim Kirschenstehlen hatte er seine damalige Kommilitonin erwischt und kennengelernt. Die kurze, intensiv gelebte Liebe endet, als Mela mit Ehemann und Sohn in den Westen flieht. Endlich ist Thomas auch bereit, einen Blick in seine Stasi-Akten zu wagen. Dort findet er ihre gleich nach der Flucht an ihn adressierten und beschlagnahmten Briefe. Der Hinweis auf die Geburt einer Tochter bringt ihn ins Grübeln. Könnte es seine Tochter sein? Sollte er sich auf die Suche nach Mela und der Wahrheit machen?

Eine Einladung nach Rom in eine Künstlervilla verändert alles, stellt sein Leben auf den Kopf. Ausgerechnet dort trifft er Mela wieder. Als wäre die Zeit stehen geblieben, erwischt er sie auch hier beim Stehlen und Verzehren einer Orange. Die beiden sind die einzigen Senioren, alle anderen aufstrebende junge Künstler. Mela und Thomas haben schnell wieder ihre eigene, verloren geglaubte Welt wiedergefunden. Wie wird es diesmal enden?

Helga Schütz hat ein Buch geschrieben, das Ruhe ausstrahlt. Mit kargen Sätzen zaubert sie eine Poesie, die tief berührt. Im Rückblick beschreibt sie die Auswirkungen der sozialistischen Ära auf den Einzelnen: Alltagsleben, zerstörte Hoffnungen, Wünsche, geänderte Lebensentwürfe. Im Blick voraus zeigt sie, dass Liebe im Alter eine andere Schönheit besitzen kann. Das Buch ist eine gelungene Hommage an die Weisheit des Alters.

Brigitte Hort, Eitorf