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Autor
Thúy, Kim

Die vielen Namen der Liebe

Untertitel
Roman. Aus dem Französischen Andrea Alvermann und Brigitte Große
Beschreibung

Flüchtlinge sind derzeit ein allgegenwärtiges Thema, verbunden mit Schreckensbildern ungeahnten Ausmaßes, das auf Ratlosigkeit bei Politikern und Abwehr in der Bevölkerung stößt. Wer denkt bei diesem Thema noch an die vietnamesischen „Boat-People“, die in den siebziger Jahren nach dem Sieg der kommunistischen Truppen aus dem Süden des Landes flohen? Die sich in kleinen Booten aufs Meer wagten, aufgefischt wurden, in Flüchtlingslager in Südostasien und von dort in aufnahmewillige Länder gebracht wurden. Heute werden sie gerne als Vorbilder für geglückte Integration bezeichnet.

Wie hoch der Preis ist, den Menschen für den Verlust ihrer Heimat, ihrer Sprache, ihrer Wurzeln zahlen, wie tief die Risse in ihrem Inneren gehen, aber auch, welche Chancen sich – zumeist für die jüngeren unter ihnen – bieten, davon handelt Die vielen Namen der Liebe, das auf sanfte, poetische Weise von Schmerz und Leid erzählt, aber auch von dem Willen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen,.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verlag Antje Kunstmann, 2017
Format
Gebunden
Seiten
144 Seiten
ISBN/EAN
978-3-95614-168-3
Preis
18,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Kim Thúy wurde in Saigon geboren und floh als Zehnjährige zusammen mit ihrer Familie in den Westen. Sie arbeitete als Übersetzerin und Rechtsanwältin und war Gastronomin, Kritikerin und Moderatorin für Radio und Fernsehen. Als Autorin wurde sie 2010 mit ihrem in zahlreiche Sprachen übersetzten Überraschungserfolg “Der Klang der Fremde” bekannt.

Kim Thúy lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Montreal.

Zum Buch:

Wann halten wir die Integration eines Neuzuwanderers für gelungen? Wenn er die Landessprache spricht? Arbeit gefunden und sich den örtlichen Gepflogenheiten angepasst hat? Ist er oder sie dann glücklich hier angekommen? Vielleicht – aber was heißt in diesem Zusammenhang Glück? Sicherlich ist es Glück, Verfolgung, Not, Hunger, Folter oder Tod entgangen zu sein, selbst um den Preis des Verlusts der Heimat, der Herkunft, der Sprache, der Kultur, mit anderen Worten: der Identität. Das neue Buch der vietnamesisch-kanadischen Autorin Kim Thúy handelt von all dem. Von der Sehnsucht nach dem verlorenen Zauber des Alten, von den Schwierigkeiten, sich im neuen Leben zu verorten, aber auch von den Chancen, ein neues, selbstbestimmtes Leben zu führen – besonders für die Frauen.

Im Alter von acht Jahren flieht Vi mit ihrer Mutter und den drei älteren Brüdern nach dem Sieg der Kommunisten aus Saigon in den Westen. Schlepper haben sie in ein Lager nach Malaysia gebracht, und von dort kommen sie mit einer Hilfsorganisation nach Kanada. Das ist der Ausgangspunkt des Romans. Den Boden für alles weitere bereitet Kim Thúy in einer Rückschau auf die Geschichte ihrer Großeltern und Eltern, die im damaligen Südvietnam das Leben traditioneller Familien der oberen Mittelschicht unter der französischen Kolonialherrschaft führten. Vis Vater war ein ausgesprochen schönes Kind und wächst, von sämtlichen Frauen der Familie verhätschelt, zu einem Mann heran der gewohnt ist, seine Wünsche erfüllt zu finden, bevor er sie ausgesprochen hat. Ihre Mutter, eine intelligente, geschäftstüchtige Frau, ist keine traditionelle Schönheit, aber ihre lebenspraktische Einstellung bewegt den Vater, als die Zeiten härter werden, sie zu heiraten. Sie liebt ihren Mann abgöttisch, doch als er sich, nach dem Fall Saigons, trotz eines Lageraufenthaltes weigert, das Land zu verlassen, verlässt sie ihn trotzdem, um die Kinder zu retten. Mit ihnen reist Ha, die Freundin der Mutter, die für Vi später Vorbild und Ratgeberin wird.

Die Familie lebt sich in Kanada gut ein, aber die Erfahrung,vertrieben worden zu sein, fordert ihren Preis. Trotz einer guten Ausbildung und Unterstützung durch die Familie bleibt in Vi ein Riss, den wohl alle in sich tragen, die ihre Heimat unfreiwillig verlassen mussten. Auch wenn sie sich dem Lebensstil in Kanada anpasst, bleibt sie im Verhältnis zu Männern dem traditionellen Frauenbild verhaftet und ordnet sich unter. Erst langsam und mit Unterstützung von Ha schafft sie es, sich zu emanzipieren, ihren eigenen Weg zu gehen und zu erkennen, dass Einwanderung in eine andere Kultur auch eine Chance sein kann. Als erwachsene Frau kehrt sie nach Vietnam zurück und lernt dort die Liebe ihres Lebens kennen …

Die vielen Namen der Liebe ist ein ruhiges, poetisches Buch, das auch in seinen düsteren Episoden nie dramatisch wird. So wie Kim Thuy nur knapp einhundertvierzig Seiten für eine komplexe Geschichte benötigt, reichen ihr die leisen Töne, um Leid und Schrecken genauso wie Schönheit und Freude zu schildern. Das ist unbedingt lesenswert!

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt