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Autor
Erazo Heufelder, Jeanette

Der argentinische Krösus

Untertitel
Kleine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule
Beschreibung

Wer glaubt, Bescheid zu wissen über die Gründung und Finanzierung des Frankfurter „Instituts für Sozialforschung“, sollte das Buch der Ethnologin und Dokumentarfilmerin Jeanette Erazo Heufelder lesen, um sich eines Besseren belehren zu lassen. Die Autorin sortiert bekannte, weniger bekannte und neue Fakten zur „Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule“ übersichtlich und bestens belegt. Sie liefert obendrein zahlreiche Mosaiksteine für Biografien der von Legenden umrankten Stifterpersonen Hermann Weil und vor allem seines Sohnes Felix. Jeanette Erazo Heufelder ist eine beeindruckende Studie zu verdanken, der man nur viele Leser wünschen kann.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Berenberg Verlag, 2017
Format
Gebunden
Seiten
208 Seiten
ISBN/EAN
978-3-946334-16-3
Preis
24,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Jeanette Erazo Heufelder wurde 1964 als Tochter einer Deutschen und eines Ecuadorianers in Bayern geboren. In Dokumentarfilmen, Biografien und literarischen Reportagen beschäftigt sich die studierte Ethnologin vor allem mit Lateinamerika. Zuletzt erschien die Biografie der deutsch-jüdischen Emigrantin Ellen Marx, »Von Berlin nach Buenos Aires« (Metropol, 2014).

Zum Buch:

Wer glaubt, Bescheid zu wissen über die Gründung und Finanzierung des Frankfurter „Instituts für Sozialforschung“, sollte das Buch der Ethnologin und Dokumentarfilmerin Jeanette Erazo Heufelder lesen, um sich eines Besseren belehren zu lassen. Die Autorin sortiert bekannte, weniger bekannte und neue Fakten zur „Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule“ übersichtlich und bestens belegt. Sie liefert obendrein zahlreiche Mosaiksteine für Biografien der von Legenden umrankten Stifterpersonen Hermann Weil (1868-1927) und vor allem seines Sohnes Felix (1898-1975).

Der jüdische Kaufmann Hermann Weil emigrierte 1890 nach Argentinien und betätigte sich im lukrativen Getreideexportgeschäft. Die Firma, die er mit zwei Brüdern gründete, verfügte bald über 3000 Angestellte und 60 gecharterte Schiffe. Seinen 1890 geborenen Sohn ließ Weil katholisch taufen, aber als der neunjährige Felix zur Großmutter nach Frankfurt zurückkehrte und das dortige Goethe-Gymnasium absolvierte, wurde er „automatisch“ als „jüdisch“ registriert.

Der erfolgreiche Vater zog sich 1908 aus dem Geschäft zurück und ließ sich in Frankfurt eine stattliche Villa bauen. Der Sohn studierte nach dem Abitur ab 1919 Volkswirtschaftslehre in Tübingen. Nach einer Denunziation durch den Rektor wurde Felix im Herbst 1919 aus Württemberg ausgewiesen und in den Polizeiakten zum Mitglied der KPD gemacht. Er wechselte nach Frankfurt und promovierte bei Alfred Weber.

Im Herbst 1920 heiratete er und kehrte als Generaldirektor der väterlichen Firma nach Argentinien zurück. Nach seinen autobiographischen Aufzeichnungen neigte Felix Weil seit der Novemberrevolution „gefühlsmäßig“, wie er im Rückblick selbst notierte, dem Sozialismus zu. Dies verstärkte sich unter dem Eindruck der Rechtlosigkeit der Landarbeiter in Argentinien und der Polizeiwillkür. Unter dem Decknamen „Beatus Lucio“ wurde Generaldirektor Felix Weil Vertrauensmann der „Kommunistischen Internationale“ Grigori Sinowjews. Damit begann für Weil eine lebenslang dauernde Doppelrolle als vermögender Kapitalist und Linker – eine Kombination, die Spießer bis heute irritiert.

Aus seinen Erfahrungen in Argentinien zog Felix Weil den Schluss, „dass die Weiterbildung der marxistischen Theorie eine wissenschaftliche, keine parteipolitische Aufgabe sein müsse“ (J.E.Heufelder) und konnte seinen Vater von der Idee überzeugen, ein marxistisch orientiertes Forschungsinstitut zu stiften. Dabei half mit, dass sich der Firmengründer als Dank ein Ehrendoktorat erwartete. In den Verhandlungen mit der Universität und dem Regierungspräsidenten wurde die marxistische Orientierung des Instituts verschleiert, auch um die Verbindung von Institutsdirektion und einer Stiftungsprofessur in der Fakultät durchzusetzen. Am 22.6.1924 wurde das „Institut für Sozialforschung“ eingeweiht. Der erste Direktor, der Ökonom Kurt Albert Gerlach, starb plötzlich. An seiner Stelle übernahm der linke Staatsrechtler und Soziologe Carl Grünberg die Direktion.

Außer dem Bau des Instituts, den Felix Weil finanzierte, bestritt sein Vater die jährlichen Betriebskosten von 120 000 Mark (30 000 US-Dollar). Nach dem Tod seines Vaters 1927 und einem Schlaganfall Grünbergs 1928 setzte Felix Weil den Sozialphilosophen Max Horkheimer (1895-1973) als neuen Direktor durch.

1930 ließ sich Felix Weil wieder in Argentinien nieder. Schon 1928 hatte er den Getreidehandel aufgegeben und mit dem Erlös zusammen mit seiner Schwester gleichberechtigt eine Finanz- und Handelsgesellschaft (SAFICO) gegründet, die sich auch im Immobiliengewerbe engagierte. Noch bevor das Frankfurter Institut am 26.5.1933 von den Nazis enteignet wurde, ließ sich Horkheimer „vertraglich zusichern, dass er monatlich (…) einen dynamisch wachsenden Betrag“ erhielt – zur „Gestaltung unserer Existenz“. Zwischen Felix Weil und seiner Schwester kam es 1934 zu einem Rechtsstreit, da die Schwester aus der testamentarischen Verpflichtung, das Institut zu finanzieren, aussteigen wollte. Das Institut drohte in Schwierigkeiten zu geraten, da Weils Vermögen in Holland gebunden war. Die das Institut absichernde Stiftung (SIRES) wurde durch die Familienstiftung mit 883 000 $ (nach heutigem Wert 16 Millionen $!) rekapitalisiert und Felix Weil brachte sein Restvermögen von 770 000 $ ein, davon 110 000 $ sofort als Schenkung. Er selbst lebte als Offizier der US-Armee in bescheideneren Verhältnissen als Horkheimer im Tessin. „Das Wohl des Instituts stand für seinen Stifter an oberster Stelle.“ Er opferte dafür seine Position als reicher Mann und wurde abhängig von der eigenen Stiftung, in der er nichts zu sagen hatte. Insofern ist die in der Literatur übliche Floskel, Horkheimer sei es gelungen, das Stiftungsvermögen vor 1933 in Sicherheit zu bringen, ein Euphemismus, der an Zynismus grenzt. Jeanette Erazo Heufelder ist eine beeindruckende Studie zu verdanken, der man nur viele Leser wünschen kann.

Rudolf Walther, Frankfurt am Main