Zum Buch:
Weil er gegen den Staatsstreich Bonapartes protestiert hatte, welcher sich kurz darauf als Napoléon III. zum Kaiser hatte ausrufen lassen, wurde Victor Hugo 1851 aus Frankreich verbannt und fand sein Exil auf den zu England gehörigen Kanalinseln, zunächst auf Jersey und später auf Guernsey, wo er Gedichtbände und mehrere Romane, wie z.B. Die Elenden (1862) veröffentlichte. Ein weiterer Roman, dem ebenfalls ein großer Erfolg beschieden war, erschien 1866 unter dem Titel Die Arbeiter des Meeres, und es ist dem mare Verlag zu verdanken, dass dieser, das harte Leben der Küstenfischer beschreibende Roman, jetzt in einer ausgezeichneten Neuübersetzung vorliegt.
Neben den teils umfangreichen Schilderungen über Land und Leute wird darin einerseits die Geschichte des sympathischen Kapitäns Lethierry erzählt, der auf Guernsey das erste Dampfschiff, die Durande, in Betrieb nimmt und – nach anfänglichen Zweifeln unter den Alteingesessenen – der Insel schließlich zu einem wirtschaftlichen Aufschwung verhilft. Eines Tages lenkt der bis dahin völlig unbescholtene Schiffsführer der Durande, das Dampfschiff auf ein Riff, um so seinen Tod vorzutäuschen, doch alle Überlebenden sind sich absolut sicher, dass Schiff sei zwar verloren, doch ließe sich die Dampfmaschine sicherlich noch retten. Lethierry verspricht demjenigen, der diese Tat vollbringt, die Hand seiner schönen (aber ziemlich einfältigen) Tochter, womit der zweite Erzählstrang beginnt, denn der einzige, der sich dazu bereit erklärt, ist ausgerechnet Gilliatt, ein bettelarmer, unbeliebter Einzelgänger, der von den Inselbewohnern gemieden wird und dem man Allerlei nachsagt, sogar Hexerei. Gilliatt, der heimlich in die Tochter des Kapitäns verliebt ist, nimmt die Herausforderung an, die ihm alles abverlangen und an die Grenzen menschlicher Belastbarkeit führen wird. Und so fährt er mit seinem viel zu kleinen Boot hinauf aufs offene Meer.
Auch wenn es jetzt nicht so wirken mag: das hier ist völlig frei von Kitsch und Klischees. Hugos Beschreibungen sind voller interessanter Anspielungen auf zeitpolitische Gegebenheiten seiner Epoche und lesen sich absolut spannend und kurzweilig. Ich habe dieses Buch geliebt – und tue es noch. Man merkt bereits auf den ersten wenigen Seiten, dass man es hier als Leser mit einem der ganz Großen der Weltliteratur zu tun hat, denn manche – viele – der Sätze und Bilder aus Hugos Feder wirken auch nach dem letzten Absatz noch nach, und man erwischt sich zuweilen dabei, doch noch einmal zurückzublättern, um diese oder jene Stelle zu finden und erneut auf sich wirken zu lassen, gerade so, als hätte man doch noch nicht genug davon gekostet.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln