Zum Buch:
London, 1982. Zwei Mädchen aus dem gleichen Vorort, mit der gleichen Hautfarbe, im gleichen Alter. Die eine, Tracey, trägt schon in der ersten Ballettstunde ein Tutu, Balletschläppchen aus Satin mit langen, über Kreuz um die Knöchel geschlungenen Bändern. Die andere, die namenlose Erzählerin, muss mit den Schläppchen aus hellrosa Schweinchenleder Vorlieb nehmen, an die der Vater ein schmuckloses Gummiband genäht hat. Die eine hat einen weißen Vater, die andere eine weiße Mutter. Zadie Smith erzählt die Geschichte dieser Freundschaft und der Lebenswege der jungen Frauen, ihres gesellschaftlichen Auf- und Abstiegs, sie lässt sie auf einer großen Bühne, vor der Kulisse der ganzen Weltgeschichte auftreten.
Sie lernen tanzen bei Miss Isabel in St. Christopher’s, am Klavier Mr. Booth, steinalt, ein Weißer mit einem Filzhut auf dem Kopf. Eine Szene, die tatsächlich einem Musical entsprungen sein könnte. Und für Musicals der 1930er-Jahre und für das Tanzen werden die Mädchen brennen. Fred Astaire in “Swing Time” ist eines ihrer großen Vorbilder, der Schattentanz, in dem Astaire als Blackface – mit schwarz angemaltem Gesicht – auftritt, zieht sich in seiner ganzen Ambivalenz wie ein Walking Bass durch den Roman.
Tracey macht als Tänzerin Karriere und kommt trotzdem nie aus der Hochhausiedlung weg, in der sie aufgewachsen ist. In dem Londoner Vorort rangieren die hohen Nachkriegsbauten deutlich unter der Anlage mit den niedrigeren Häusern, in denen die Erzählerin wohnt. Die fällt die Karriereleiter nach oben, ist als Assistentin der berühmten Sängerin Aimee in der Welt zu Hause – oder doch nicht, aber das merkt sie erst, als es schon zu spät ist. In Westafrika verbringt sie viel Zeit, weil Aimee dort eine Schule gründen will. Sie erfährt einiges über die Herkunft ihrer Mutter, lernt ein Leben kennen, das sehr einfach ist und dennoch große Schönheit in sich birgt. Kankurang, die rituelle Figur, die die Jungen zum Mannsein geleitet, wird für sie zu dem großartigsten Tänzer, den sie je gesehen hat. Sie erlebt aus nächster Nähe, wie das große Geld der Sängerin enorme Schäden in der Region anrichtet, und von einem Tag auf den anderen fällt sie aus Aimees Gunst und die gesellschaftlichen Leiter wieder hinab.
Im letzten Bild des Romans sind die beiden Frauen Mitte Dreißig, und dieses letzte Bild zeigt die gleiche Mischung aus Leichtigkeit und Melancholie, die den Ton des ganzen Romans ausmacht. Wie viel hat sich tatsächlich geändert in der Welt, in der mit der Kolonialisierung Afrikas und der Versklavung seiner Einwohner die Unterschiede zwischen Schwarz, Weiß und Hellbraun festgeschrieben worden sind? Kann jeder Mensch – gleich welcher Hautfarbe – heute seinen Lebensweg frei wählen?
Susanne Rikl, München